Kundgebung am 9.11. um 16.00h;
Ecke Zirkusgasse/Schmelzgasse, 2. Bezirk
Anschließend:
19.00h Sobibor
ein Film von Claude Lanzmann,
im Castillo comida y ron (Restaurant) im Keller; 1., Stubenring 20
Unterstützt von: Aktionsbündnis gegen Antisemitismus Innsbruck
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Die
Pogrome rund um den 9. November 1938 waren nur die Höhepunkte eines von
antisemitischen Ausschreitungen geprägten Jahres. Im Raubzug gegen ihre
jüdischen NachbarInnen spielten die OstmärkerInnen eine Vorreiterrolle. Bereits vor der
umjubelten Vereinigung Österreichs mit Nazideutschland am 12. März 1938 fanden
Pogrome statt, die nach dem Anschluss durch "wilde" Arisierungen
ergänzt wurden. Dieser Fanatismus veranlasste sogar die zentralen Stellen zu
Maßnahmen, um die Enteignung der Jüdinnen und Juden im gesamten NS-Reich in
"ordentliche" Bahnen zu lenken. Nachdem es im Oktober in Wien erneut
zu Gewalttaten, Plünderungen und Brandstiftungen gekommen war, schien die Zeit
in den Augen der Nazis reif für ein Vorgehen im gesamten Deutschen Reich. Der
Pogrom im November 1938 übertraf die bisherige Barbarei, und die Blutorgie ließ
für die Zukunft noch Schlimmeres erwarten. Er war die endgültige Enthemmung des
antisemitischen Mobs und der Auftakt zum Massenmord. Die damalige "Ostmark"
und insbesondere Wien bildeten die Vorhut der Vernichtung.
"Spontane"
Antwort der Bevölkerung
Die
NSDAP-Propaganda versuchte, den Pogrom als "spontane" Antwort der
Bevölkerung auf den Tod des deutschen Diplomaten Ernst von Rath auszugeben. Der
Nazi war am 7. November 1938 in Paris von einem 17jährigen Juden namens
Herschel Grynszpan niedergeschossen worden. Damit
wollte dieser gegen die von der Reichsregierung verfügte Deportation tausender
Jüdinnen und Juden nach Polen protestieren. Unter den Deportierten, die tagelang
im Niemandsland zwischen Deutschland und Polen umherirrten, war auch sein
Vater.
Der
Beschluss zum Losschlagen wurde am Rande einer Feier zum Gedenken an den
Putschversuch von 1923 in München gefasst. "Die SA soll sich mal
austoben", hat Hitler zu Goebbels gesagt. Der "Startschuss" zum
Pogrom wurde dann vom Propagandaminister gegeben. Alle, die in den letzten
Wochen und Monaten von den Parteistellen und Gauleitungen wegen
unkontrollierbaren und "wilden" Arisierungen zur Ordnung gerufen
wurden, durften nun endlich wieder zuschlagen. Die NS-Propaganda betonte die
"berechtigte Empörung", der Zorn der kochenden Volksseele würde das
Attentat nun rächen. Der Begriff "Reichskristallnacht" wurde von den
Nazis geprägt. Der Name kokettiert mit dem "schaurig-schönen"
Widerschein des Feuers in den auf der Strasse liegenden Glasscherben und
verharmlost die blutige Gewalt.
"Arbeitsteilung"
Während
die SA in Zivil gemeinsam mit Angehörigen der Hitlerjugend und anderen
Parteiorganisationen jüdische Geschäfte und Wohnungen plünderte und zerstörte,
ging die SS, ebenfalls in Zivilkleidung, gezielt gegen Funktionäre jüdischer
Organisationen vor. Verhaftete Jüdinnen und Juden brachte man in Schulen,
Gefängnisse und in die spanische Hofreitschule neben der Hofburg, zwang sie zu
gymnastischen Übungen, ohne ihnen Nahrung zu geben und ließ sie aufrecht
stehend schlafen. Einige Jüdinnen wurden gezwungen, sich zu entkleiden und zur
Unterhaltung der Sturmtruppen sexuelle Handlungen mit Prostituierten
auszuführen; andere mussten nackt tanzen. Ein Gestapo-Agent aus Wien berichtete
später, dass er und seine Kameraden Schwierigkeiten gehabt hätten, die
Menschenmenge davon abzuhalten, noch mehr Jüdinnen und Juden tätlich
anzugreifen.
In Wien
wurden insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser meist durch Brände zerstört. 27
Juden wurden getötet und 88 schwer verletzt. 6.547 Jüdinnen und Juden wurden in
Wien verhaftet, fast 4000 von ihnen wurden ins Konzentrationslager Dachau
verschleppt. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört. 4.083
jüdische Geschäfte wurden gesperrt. Allein im "Kreis Wien I" wurden
1.950 Wohnungen zwangsgeräumt. Hunderte Jüdinnen und Juden begingen darauf hin
Selbstmord. Eine Rückgabe der enteigneten Wohnungen und Geschäfte nach 1945
fand praktisch nicht statt. Bis zum heutigen Tag profitieren die Nachkommen der
TäterInnen in Wien und ganz Österreich von den
Verbrechen, die damals ihren Anfang nahmen. Sei es durch den günstigen
Mietvertrag, den die Großeltern 1939 erhielten, durch die arisierten Bilder der
Sammlung Leopold, die nun im Museumsquartier Touristenströme anziehen, oder
durch die Übernahme von Geschäften, Kinos oder Apotheken der zuvor deportieren BesitzerInnen.
Kasten: Übergriffe
und Ausschreitungen auch in den Bundesländern:
In
Niederösterreich kam es zur Sprengung von Synagogen und zu Massenfestnahmen.
Tempel in Berndorf, in Vöslau und in Baden fielen dem
Pogrom zum Opfer. In Baden wurden alle Jüdinnen und Juden verhaftet, in St.
Pölten gab es 137 Festnahmen.
In Salzburg-Stadt wurden sieben noch nicht arisierte Geschäfte aufgebrochen und
verwüstet. Akten aus der Kultusgemeinde wurden weggeschafft. Auch die Synagoge
wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. In der Stadt wurden 41 Juden
verhaftet, 70 in ganz Salzburg.
In Oberösterreich lebten in den Wochen vor dem Novemberpogrom noch rund 650
Jüdinnen und Juden. Ein Zehntel von ihnen wurde bereits am 8. November
festgenommen. In Linz steckten SA- und SS-Angehörige die Synagoge in Brand.
In Graz wurde in der Nacht zum 10. November die Synagoge am Grieskai
niedergebrannt. Die Inneneinrichtung war bereits zuvor zerstört worden.
In Klagenfurt wurde der Tempel völlig zerstört. Der Mob wandte sich vor allem
gegen Wohnungen der Jüdinnen und Juden, da die Geschäfte bereits vorher
"arisiert" worden waren. 40 Jüdinnen und Juden wurden verhaftet und
nach Dachau deportiert.
In Tirol konzentrierte sich der Terror auf Innsbruck. Vier von den 136
Innsbrucker Jüdinnen und Juden wurden ermordet.
Im Burgenland wurde die Synagoge in Eisenstadt zerstört.
Es macht
die Eigenart der Gesellschaft in den Nachfolgestaaten des Dritten Reichs aus,
dass sie sich auf dem Boden der Resultate bewegt, die der Nationalsozialismus
geschaffen hat. Zu diesen Resultaten gehört eine besonders innige Beziehung zum
Staat, gestiftet durch das kollektiv beschwiegene Fundament von Massenmord und
Vernichtungskrieg, die nach 1945 nirgendwo revolutionär geahndet wurden. In
diesen Verbrechen hat sich die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung mit dem
Staat zum Volksstaat vereinigt. Diese Vereinigung lebte öffentlich und privat
gerade in der Verdrängung des Verbrechens fort und konstituierte das
Bewusstsein der StaatsbürgerInnen. Dass der größten
Vernichtung, die jemals vonstatten ging, der größte Reichtum entspringt, der
jemals zu haben war, das war das eigentliche Wunder der Nachkriegszeit, das man
mit dem Begriff des Wirtschaftswunders zu rationalisieren versuchte – schon
deshalb, um nicht über die Grundlegung der Nachkriegswirtschaft in der
nationalsozialistischen Raub- und Zwangsarbeiterökonomie reden zu müssen.
Der für
die österreichische postnationalsozialistische Gesellschaft charakteristische
Antisemitismus tobt sich heute zunehmend im Hass auf den Staat der Shoah-Überlebenden aus. Der von Deutschen sowie ÖsterreicherInnen mit Begeisterung vom Zaun gebrochene
Vernichtungsfeldzug gegen Polen und die Sowjetunion, der Beginn der totalen
Vernichtung des europäischen Judentums im Herbst 1941 und die Flucht von vielen
Jüdinnen und Juden waren die entscheidenden Ursachen für die Gründung Israels.
Während der Zionismus in den 50 Jahren davor noch von vielen Jüdinnen und Juden
abgelehnt wurde, da sie die Hoffnung auf Assimilierung nicht aufgaben oder ein
Ende des Antisemitismus durch die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft
erkämpfen wollten, bestätigte der deutsch-österreichische Vernichtungswahn in
grausamer Weise die Notwendigkeit eines jüdischen Staates.
Trotz
widriger Umstände und gegen den erbitterten Widerstand Großbritanniens gelang
Tausenden Opfern des NS-Terrors die Flucht nach Palästina. Nach der
Staatsgründung Israels und der Nichtanerkennung des UN-Teilungsplanes durch die
arabischen Nachbarstaaten begannen diese ihren ersten Krieg gegen den neuen
Staat. In den 15-monatigen Kampfhandlungen ließen über 6000 Israelis, viele
eben erst den nationalsozialistischen Todesmühlen entkommen, ihr Leben.
Israel ist
seitdem Schutzmacht und Zuflucht für Jüdinnen und Juden weltweit. Selbst wenn,
wie im 2. Weltkrieg, fast alle Länder dieser Erde ihre Grenzen nochmals für
jüdische Flüchtlinge schließen sollten, mit Israel gibt es einen Ort, wo sie,
solange die Möglichkeiten zur militärischen Selbstverteidigung gewährleistet
sind, relativen Schutz vor antisemitischer Gewalt finden.
Der jüdische
Staat ist 60 Jahre nach der Niederlage des Nationalsozialismus in Gefahr.
Israel ist mit permanentem Terror im Rahmen der "Al-Aqusa-Intifada"
konfrontiert. Die von PalästinenserInnen
durchgeführten Selbstmordattentate zielen einzig und allein darauf, möglichst
viele Jüdinnen und Juden mit in den Tod zu reißen. Unterstützung finden diese
dabei nicht nur bei anderen arabischen Regimes, die dem sich selbst als
nationalen Befreiungskampf abfeiernden Vernichtungsantisemitismus materiell und
ideologisch unter die Arme greifen, sondern auch bei der EU und der UNO, in
weiten Teilen der Antiglobalisierungs- und Friedensbewegung, sowie in der
Linken.
Mit der
zunehmenden Bedrohung Israels und damit der Jüdinnen und Juden weltweit
entsteht eine Art "globaler Intifada": Antisemitismus tobt sich
derzeit sowohl propagandistisch als auch praktisch am ungehemmtesten in einem
Großteil der arabischen bzw. islamischen Staaten aus, aber auch von der Ukraine
über Argentinien bis Frankreich und Deutschland kam es in den vergangenen
Jahren zu Friedhofsschändungen, Brandstiftungen gegen Synagogen und tätlichen
Angriffen gegen Jüdinnen und Juden. Jüdische Gemeinden erleben nun in der
ganzen Welt Zustände, die in Österreich und Deutschland seit langem traurige
Realität sind: gewalttätige Übergriffe und die ständige Präsenz von
Sicherheitskräften vor Synagogen, Schulen und kulturellen Einrichtungen. Im
ersten Halbjahr 2003 wurden in Österreich 108 antisemitische Vorfälle
(Übergriffe, Drohungen, Schmierereien usw.) gemeldet, das sind um 71% mehr als
im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Der
antisemitische Mob agiert auch heute nicht im luftleeren Raum: Die politischen
Eliten aus ÖVP und FPÖ verweigern der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) jene
finanziellen Mittel, die zum Schutz der jüdischen Einrichtungen benötigt
würden. Wie überhaupt die FPÖVP-Regierung mit ihrer
Weigerung, das Überleben der jüdischen Gemeinden in Österreich zu garantieren,
das Feld bereitet, auf dem sich der Mob dann austobt. Den jüdischen Gemeinden
wird eine auch nur teilweise Entschädigung für das zerstörte und geraubte
Eigentum immer noch vorenthalten. Ihre VertreterInnen
werden zu BittstellerInnen degradiert. Die Linke hat
zu diesem Skandal größtenteils geschwiegen. Anstatt der Solidarität mit den in
ihrer Existenz bedrohten jüdischen Gemeinden Ausdruck zu verleihen,
demonstriert sie lieber mit den FeindInnen Israels.
Zuletzt am 27. 9., als eine fast 1000-köpfige Hetzmasse zum dritten Jahrestag
der Intifada in Wien den islamistischen Selbstmordterror abfeierte. Mit dabei
Hannes Swoboda (SPÖ), der im europäischen Parlament an führender Stelle die
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur zweckwidrigen Verwendung von
EU-Geldern seitens der palästinensischen Autonomiebehörde verhinderte. So kann
nicht geklärt werden, ob und in welchem Ausmaß die EU den Selbstmordterror und
das korrupte Arafat-Regime finanziert(e).
Das
antizionistische Bündnis aus Mob und Eliten erfährt auch seinen medialen
Flankenschutz: In fast allen Medienberichten dominiert eine parteiische
Darstellung des Nahostkonfliktes, die immer wieder auch von antisemitischen
Stereotypen geprägt ist. Verschärft wurde das antiisraelische und
antisemitische Sperrfeuer anlässlich der alliierten Befreiung des Irak vom
faschistischen Regime Saddam Husseins. Heute wird nicht mehr nur in
Neonazi-Blättern über den "jüdischen" Hintergrund der
US-Administration und die "Israel-Lobby", welche die US-Politik
bestimme, spekuliert.
Das
Gedenken an die Reichspogromnacht vor 65 Jahren muss die Verteidigung der
letzten noch sichtbaren Resultate der deutsch-österreichischen Schuld an Shoah und Vernichtungskrieg beinhalten, so es nicht zu
einer folgenlosen Historisierung der damaligen Ereignisse kommen soll. Heute
wird in vielfältiger Weise in Österreich und Deutschland versucht, die Folgen
der Niederlage des Nationalsozialismus von 1945 zum Verschwinden zu bringen und
die deutsch-österreichischen Verbrechen zu relativieren. Nach der deutschen
Wiedervereinigung, der Auflösung der Roten Armee und der Zerschlagung
Jugoslawiens richten sich die deutsch-österreichischen Begehrlichkeiten gegen
Tschechien, Polen und das ehemalige Jugoslawien. AntifaschistInnen
dürfen zu diesem Revisionismus und Revanchismus nicht schweigen. Die aktuelle,
erpresserische Politik gegen die Republik Tschechien in der Frage der Benesdekrete muss ebenso bekämpft werden wie jede Form der Delegitimierung des israelischen Staates.
In der
Zirkusgasse 22 stand bis zu ihrer Zerstörung und Plünderung durch den Nazi-Mob
am 10. November 1938 die Synagoge der seit 1736 bestehenden türkisch-jüdischen
Gemeinde, auch "Türkischer Tempel" genannt. Sie wurde im maurischen
Stil zwischen 1885 und 1887 nach den Plänen des Architekten Hugo von Weidenfeld
erbaut. Als Vorbild diente die Alhambra, worin sich
das Andenken an die ehemalige spanische Heimat der Sepharden
äußerte. Die Synagoge verfügte über 424 Sitz- und 250 Stehplätze und war in der
Ersten Republik vor allem als Wirkstätte des Oberkantors Isidor Lewit von Bedeutung. Erst 1988, ein halbes Jahrhundert nach
der Zerstörung der Synagoge, wurde eine von der Stadt Wien gestiftete
Gedenktafel am ihrem ehemaligen Ort angebracht.