Kundgebung am 9.11. um 17.00; Ecke Zirkusgasse/Schmelzgasse, 2. Bezirk
Bisher unterstützende Gruppen: Anthropoid Innsbruck, Archiv der sozialen Bewegungen/Wien, Café Critique,
Context XXI, Die Zecken, Fakultätsvertretung HuS, GO Dogma, Grünalternative Jugend (GAJ) Wien, Hashomer Hazair, Infoladen Wels, Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG), LIAB, LICRA, monochrom, Ökoli, Redaktion NU, StRV HUS-Doktorat, StRV
Politikwissenschaft, Verein „Erinnern – Villach“, www.juedische.at, ZPCL - der B'nai B'rith
Die Pogrome
rund um den 9. November 1938 waren nur die Höhepunkte eines von antisemitischen
Ausschreitungen geprägten Jahres. Im Raubzug gegen ihre jüdischen NachbarInnen spielten die OstmärkerInnen
eine Vorreiterrolle. Bereits vor der umjubelten Vereinigung Österreichs mit
Nazideutschland am 12. März 1938 fanden Pogrome statt, die nach dem Anschluss
durch "wilde" Arisierungen ergänzt wurden. Dieser Fanatismus veranlasste
sogar die zentralen Stellen zu Maßnahmen, um die Enteignung der Jüdinnen und
Juden im gesamten NS-Reich in "ordentliche" Bahnen zu lenken. Nachdem
es im Oktober in Wien erneut zu Gewalttaten, Plünderungen und Brandstiftungen
gekommen war, schien die Zeit in den Augen der Nazis reif für ein Vorgehen im
gesamten Deutschen Reich. Der Pogrom im November 1938 übertraf die bisherige
Barbarei, und die Blutorgie ließ für die Zukunft noch Schlimmeres erwarten. Er
war die endgültige Enthemmung des antisemitischen Mobs und der Auftakt zum
Massenmord. Die damalige "Ostmark" und insbesondere Wien bildeten die
Vorhut der Vernichtung.
"Spontane"
Antwort der Bevölkerung
Die
NSDAP-Propaganda versuchte, den Pogrom als "spontane" Antwort der
Bevölkerung auf den Tod eines deutschen Diplomaten darzustellen. Der
"Startschuss" zum Pogrom wurde dann vom Propagandaminister gegeben.
Alle, die in den letzten Wochen und Monaten von den Parteistellen und
Gauleitungen wegen unkontrollierbaren und "wilden" Arisierungen zur
Ordnung gerufen wurden, durften nun endlich wieder zuschlagen. Der von den
Nazis geprägte Name „Reichskristallnacht“ kokettiert dabei mit dem
"schaurig-schönen" Widerschein des Feuers in den auf der Strasse
liegenden Glasscherben und verharmlost die blutige Gewalt.
"Arbeitsteilung"
Während die SA
in Zivil gemeinsam mit Angehörigen der Hitlerjugend und anderen
Parteiorganisationen jüdische Geschäfte und Wohnungen plünderte und zerstörte,
ging die SS, ebenfalls in Zivilkleidung, gezielt gegen Funktionäre jüdischer
Organisationen vor. Verhaftete Jüdinnen und Juden brachte man in Schulen,
Gefängnisse und in die spanische Hofreitschule neben der Hofburg, zwang sie zu
gymnastischen Übungen, ohne ihnen Nahrung zu geben und ließ sie aufrecht
stehend schlafen. Einige Jüdinnen wurden gezwungen, sich zu entkleiden und zur
Unterhaltung der Sturmtruppen sexuelle Handlungen mit Prostituierten
auszuführen; andere mussten nackt tanzen. Ein Gestapo-Agent aus Wien berichtete
später, dass er und seine Kameraden Schwierigkeiten gehabt hätten, die
Menschenmenge davon abzuhalten, noch mehr Jüdinnen und Juden tätlich
anzugreifen.
In Wien wurden
insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser meist durch Brände zerstört. 27 Juden
wurden getötet und 88 schwer verletzt. 6.547 Jüdinnen und Juden wurden in Wien
verhaftet, fast 4000 von ihnen wurden ins Konzentrationslager Dachau
verschleppt. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört. 4.083
jüdische Geschäfte wurden gesperrt. Allein im "Kreis Wien I" wurden
1.950 Wohnungen zwangsgeräumt. Hunderte Jüdinnen und
Juden begingen darauf hin Selbstmord. Eine Rückgabe der enteigneten Wohnungen
und Geschäfte nach 1945 fand praktisch nicht statt. Bis zum heutigen Tag
profitieren die Nachkommen der TäterInnen in Wien und
ganz Österreich von den Verbrechen, die damals ihren Anfang nahmen.
Aber nicht nur
in Wien, auch in der ostmärkischen Provinz tobte der Mob: Im heutigen
Niederösterreich kam es zur Sprengung von Synagogen und zu Massenfestnahmen.
Die Tempel in Berndorf, Vöslau und Baden fielen dem
Pogrom zum Opfer. In Baden wurden alle Jüdinnen und Juden verhaftet, in St.
Pölten kam es zu Massenfestnahmen. In Salzburg-Stadt wurden Geschäfte
verwüstet, Akten aus der Kultusgemeinde weggeschafft und die Synagoge
demoliert. Im Land Salzburg wurden etwa hundert Juden und Jüdinnen
festgenommen. In Oberösterreich wurden 65 Jüdinnen und Juden bereits am 8.
November festgenommen. In Linz und Graz wurden in der Nacht zum 10. November
die Synagogen niedergebrannt. In Klagenfurt wurde der Tempel völlig zerstört.
Der Mob wandte sich vor allem gegen Wohnungen der Jüdinnen und Juden, da die
Geschäfte bereits vorher "arisiert" worden waren. 40 Jüdinnen und
Juden wurden verhaftet und nach Dachau deportiert. In Tirol konzentrierte sich
der Terror auf Innsbruck, wo vier Juden ermordet wurden. Im Burgenland wurde
die Synagoge in Eisenstadt zerstört.
In der Zirkusgasse 22 stand bis zu ihrer Zerstörung und Plünderung durch
den Nazi-Mob am 10. November 1938 die Synagoge der seit 1736 bestehenden
türkisch-jüdischen Gemeinde, auch "Türkischer Tempel" genannt. Sie
wurde im maurischen Stil zwischen 1885 und 1887 nach den Plänen des Architekten
Hugo von Weidenfeld erbaut. Als Vorbild diente die Alhambra,
worin sich das Andenken an die ehemalige spanische Heimat der Sepharden äußerte. Die Synagoge verfügte über 424 Sitz- und
250 Stehplätze und war in der Ersten Republik vor allem als Wirkstätte des
Oberkantors Isidor Lewit von Bedeutung. Erst 1988,
ein halbes Jahrhundert nach der Zerstörung der Synagoge, wurde eine von der
Stadt Wien gestiftete Gedenktafel am ihrem ehemaligen Ort angebracht.