Kapitalismus?

Einladung zur „Kapital“-Leserunde der Studienvertretung Politikwissenschaft

 

Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus schien alles klar: Der Eiserne Vorhang war weg, das „Reich des Bösen“ (R. Reagan) lag niedergerungen am Boden, der Kapitalismus hatte sich vor dem Richtstuhl der Geschichte als einzige dem Menschen von Natur aus gemäße Wirtschaftsform bewährt.

Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus schien gar nichts klar: Plötzlich kamen warnende Stimmen. Die kapitalistische Wirtschaftsform, vorher des besseren Klanges wegen gern „Marktwirtschaft“ gerufen, hätte sich plötzlich in einen Turbo- Casino- oder wie auch immer Kapitalismus verwandelt, den es zu „zivilisieren“ gelte. Mangels eines Begriffs von Kapitalismus sehen KritikerInnen, die ihn mit diesen Vorwörtern ausstatten, moralisch höchst bedenkliches „übersteigertes Gewinnstreben an den Aktienmärkten“ am Werke und führen auf diese Weise auch gleich die schon zu NS – Zeiten beliebte Trennung zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital fort.

Auch sonst ist wenig Vernünftiges, aber viel Verwirrendes zu hören: Einerseits erfährt man, die Konjunktur hinge stark mit der „Stimmung“ der Lande zusammen: Eine gute Stimmung würde diese ankurbeln, also mögen die Leute doch aufhören zu raunzen. Ökonomie scheint hier Psychologie zu sein, wenn die Einzelnen nur ein wenig ein sonnigeres Gemüt hätten, ließen sich alle Probleme lösen. Von anderer Seite wird die Ökonomie dann wieder wie eine Naturgewalt behandelt, der sich die Menschen eben unterwerfen müßten, und die eher ein Untersuchungsgegenstand der Naturwissenschaft bilden würde.

Da stellt man sich dann doch die Frage: Wie sind die ökonomischen Kategorien wie Geld und Kapital denn beschaffen, daß sie sowohl als Naturgewalt als auch als einfache Frage der Einstellung erscheinen können? Und: Was ist, warum und wie funktioniert Kapitalismus?

Die Frage selber ist so neu nicht, schon vor ca. 130 Jahren beschäftigte sich Marx mit ihr und verfaßte „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“. Vieles ist schon über dieses Buch geschrieben worden, oft Blödsinn. Viele Mythen, die die meisten vom Hörensagen kennen, ranken sich um das Werk. Um einige der gängigsten zu entzaubern, sind hier ein paar Titel, die das Buch NICHT trägt:

„Der Kommunismus. Das ökonomische System des Sozialismus.“: Das „Kapital“ ist keine Bastelanleitung  für ein besseres ökonomisches System. Karl „Ich habe niemals ein „sozialistisches System“ aufgestellt“ Marx wollte die politische Ökonomie systematisch kritisieren, nicht ein besseres System neben anderen aufstellen.

„Der Kapitalist. Kritik des moralischen Defizits“: Anders als unsere oben schon genannten Freunde war Marx, gestandener Religionskritiker der er war, an moralischen Predigten nicht interessiert. Daß Proletarier cool und Kapitalisten fies seien, käme dem Mann, der den Begriff der „ökonomischen Charaktermasken“ geprägt hat, mit denen sich Menschen als Personifikationen ökonomischer Kategorien gegenübertreten, höchst absurd vor.

„Das Proletariat. Evangelium der für sich werdenden Klasse“: Dem gewieften Hegelkritiker Marx wäre es auch nie eingefallen zu glauben, mit diesem Buch dem Proletariat einen dogmatischen Fahrplan zur Klasse für sich in die Hand zu drücken. Was er wollte war Leute über die Verhältnisse aufklären, in denen sie leben, und er war auch jeder papstgleichen Unfehlbarkeit abhold: „Jedes Urteil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen.“

Um diese Kritik soll es auch in unserer Lesegruppe gehen. Denn nicht nur, daß mit Leuten die Scheu fällt, sich an einen Schmöker zweifelhaften Rufs, dafür unzweifelhaften Umfangs heranzuwagen. Auch ist klar, daß besonders die ersten paar Kapitel nicht leicht zu lesen sind, und so Diskussionen mit Leuten, die sich schon mehr damit auseinandergesetzt haben, Probleme klären können.

Womit noch zwei Fragen offen bleiben:

Wo & wann treffen wir uns? Jeden Mittwoch um 20 Uhr im KOZ.

Und: Was ist, warum und wie funktioniert jetzt denn Kapitalismus?

 

Studienvertretung Politikwissenschaft