Wozu Kritik der politischen Ökonomie?
Florian Ruttner

"Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut" gibt ein dreadlocktragender Jüngling in einem Spot der Wirtschaftskammer Österreich von sich. In dieser Aussage ist in bewundernswerter Schlichtheit das vorherrschende Bild des Produktions- und Zirkulationsprozesses skizziert. Kategorien wie Lohnarbeit, Kapital und Wert spielen dabei keine Rolle; die ganze Veranstaltung scheint schlicht mit dem Allgemeinwohl kurzgeschlossen zu sein, das immer dann wieder eingeklagt wird, wenn die Ergebnisse nicht mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmen. Dann wird gemahnt, von der Sozialdemokratie bis zur Kirche wird mit großer Sorge auf "übersteigertes Gewinnstreben auf den Finanzmärkten" hingewiesen, also auf unmoralisches Verhalten, das mit gesellschaftlichen Verhältnissen nichts zu tun hat, von denen man sowieso nie reden will, sondern nur von "Sachzwängen". Diese moralische, nur auf die Zirkulationsspähre gerichtete Kritik endet aber in der Regression, im Haß aufs Abstrakte und im Lied vom einfachen, aber edlem Leben. Also gilt es, den ökonomischen Prozeß als das zu kritisieren, was er ist: Dinglich vermittelte Herrschaft, die einer eigenen Logik folgt. Die Kategorien dieser Logik, die gesellschaftlich objektiv gültigen Verkehrsformen sollen in diesem Workshop also kritisch dargestellt und der Hinweis geliefert werden, dass sie um eines guten, emanzipierten Lebens Willen abgeschafft werden sollten.

Das bereits in der Einladung angeführte Zitat des dreadlocktragenden Jünglings "Geht´s der Wirtschaft gut, geht´s uns allen gut" setzt die Identität von Privatnutzen und Interesse "der Wirtschaft" voraus. Diese Sicht der Dinge blamiert sich schon bei einer oberflächlichen Betrachtung: Denn dass jene Betriebe Gewinne schreiben, die die Lohnkosten möglichst niedrig halten, also Lohnabhängige entlassen oder Lohnkürzungen vornehmen ist evident. Der Grund dafür wird aber meist nicht darin gesehen, dass sich so die Logik von kapitalistischen Verwertungsprozessen darstellt, sondern darin, dass Unternehmer moralisch fragwürdig oder blind vor Gier handeln würden.
Im Folgenden soll es nun darum gehen, zunächst einmal dieser Logik des kapitalistischen Verwertungsprozesses auf die Schliche zu kommen, also zu zeigen, wie und warum Kategorien wie Lohnarbeit, Kapital, Wert und Ware notwendigerweise zusammenhängen, aber auch, warum sie den Personen, die sich innerhalb dieser Kategorien bewegen und in ihnen denken, als etwas ganz Anderes erscheinen, als sie sind. Es soll also darum gehen, einen Begriff des Kapitals zu erarbeiten, der hilft, das durch tägliches Leben in dieser Gesellschaft Bekannte auch zu begreifen.
Da das auch über weite Strecken das Programm Marxens bei seiner Arbeit am "Kapital" war, werden wir uns bei der Entfaltung der Kategorien auch an seiner Darstellung orientieren, auch wenn in dieser kurzen Einführung auf gewisse Ambivalenzen nicht näher eingegangen werden kann.
Nicht umsonst trägt das "Kapital" den Untertitel "Zur Kritik der politischen Ökonomie", und Marx definierte sein Programm in einem Brief einmal "zugleich Darstellung des Systems und durch die Darstellung Kritik desselben"1 zu sein. Hierin zeigen sich die zwei Stoßrichtungen seiner Kritik: Im Moment des Systematischen soll gezeigt werden, dass die Kategorien notwendigerweise zusammenhängen, man also nicht z.B. produktives Kapital gegen Finanzkapital ausspielen kann, anderseits soll eben die Irrationalität dieses Systems, das auf dinglich vermittelter Herrschaft basiert, denunziert werden.

Die Ware
Marx beginnt seine Analyse von "Gesellschaften in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht"2 mit der Ware, die er als Grundform des Reichtums solcher Gesellschaften sieht. Diese Warenform zeichnet sich durch zwei Eigenschaften aus: Einmal ist die Ware als Ding Gebrauchswert, womit die Fähigkeit, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, bezeichnet wird. Ein Pullover wärmt, ein Kamm kann auf dem Kopf wieder Ordnung herstellen, ein Buch kann die Zeit vertreiben oder gar bilden. Auch die Art der Arbeit, die den Gebrauchswert schafft, ist zunächst einmal ganz mit den konkreten Eigenschaften des Gebrauchswerts verbunden: Es muss gestrickt, gefeilt oder geschrieben werden, je nachdem.
Andererseits, und für unseren Zusammenhang wichtiger, hat eine Ware auch einen Tauschwert, besitzt also die Fähigkeit, gegen andere Waren in einem gewissen Quantum ausgetauscht zu werden. Da dies mit den konkreten dinglichen Eigenschaften nichts zu tun hat (diese Eigenschaft kommt ja allen Waren zu), werden unter diesem Aspekt die Waren darauf reduziert, dass sich in ihnen überhaupt gesellschaftliche abstrakte Arbeit darstellt. Um sich mit anderen Waren gleich austauschen zu können, wird also von den konkreten Eigenschaften abstrahiert. Und nach dem Äquivalenzprinzip (also gleich) wird - gesamtgesellschaftlich gesehen - in kapitalistischen Gesellschaften getauscht, mag es auch in Einzelfällen zu Übervorteilungen kommen, die aber bei der Darstellung der "kapitalistischen Produktionsweise sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt"3 nicht interessieren. Auch hier zeigt sich schon eine Kritik Marxens an einer moralischen Kapitalkritik, die nichts begreift, dafür aber überall dunkle Machenschaften und Übervorteilung wittert. Marxens Kritikpunkt am Kapitalismus ist nicht, dass es in diesem zu "ungleichem Tausch" käme oder dass der gesellschaftliche Reichtum nur falsch verteilt wäre. Er nimmt die kapitalistische Gesellschaft, die behauptet, am Markt herrsche Gleichheit und Gerechtigkeit beim Wort, zeigt aber, wie wir weiter unten sehen werden, dass selbst bei dieser Vorgabe die Ergebnisse alles andere als vernünftig sind. Wie ist diese abstrakte Arbeit nun zu denken?
"Es ist nichts von ihnen [den konkreten Arbeitsprodukten] übriggeblieben als dieselbe gespenstige Gegenständlichkeit, eine bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit (...). Diese Dinge stellen nur noch dar, dass in ihrer Produktion menschliche Arbeitskraft verausgabt, menschliche Arbeit aufgehäuft ist. Als Kristalle dieser ihnen gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz sind sie Werte - Warenwerte."4
An dieser Stelle muss kurz darauf eingegangen werden, welchen Stellenwert diese Abstraktion hat. Denn um eine bewusste Abstraktion in einem einfachen, logischen Sinn handelt es sich ja gerade nicht. Anders als bei dieser, bei der man in einem bewussten Gedankenprozess von den konkreten Eigenschaften zweier Dinge abstrahiert, um die allgemeineren Gemeinsamkeiten festzuhalten (z.B.: Ich habe ein rotes Tuch und ein blaues Tuch, deren Gemeinsamkeit es ist, eben Tücher zu sein), funktioniert diese Abstraktion ohne Bewusstsein der handelnden Personen, sondern setzt sich im gesellschaftlichen Prozess durch, und konfrontiert diese nur mit den Ergebnissen. Um diesen Unterschied herauszuheben, der übrigens noch weitreichende erkenntnistheoretische Implikationen hat, prägte Alfred Sohn-Rethel den Begriff der "Realabstraktion", der diesen Prozess, der auf der Unbewusstheit der Teilnehmer beruht, beschreibt. Marx formuliert das so: "Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es."5 Das impliziert natürlich auch, dass mit dem bloßen Wissen über diesen Prozess noch nichts gewonnen ist, solange sich die dazugehörige gesellschaftliche Praxis nicht ändert, d.h., solange individuelle Arbeit sich durch den Tausch als allgemeine Arbeit vermitteln muss.
Aber zurück zum Wert. Eine Ware benötigt immer eine andere Ware, um an ihr ihren Tauschwert darzustellen, da es sich beim Wert um eine gesellschaftliche Kategorie handelt. Eine Ware allein kann nicht getauscht werden, wogegen auch. In der Analyse dieses Tauschakts, der Form, in der sich Wert darstellt, oder kürzer Wertform, findet Marx nun einige Besonderheiten.
Zunächst einmal untersucht er die einfachste Wertform. X Ware A wird mit y Ware B gleichgesetzt, oder z. B.: Fünf Kaugummis = eine Tafel Schokolade. Dabei fällt auf, dass die Ware, welche ihren abstrakten Wert darstellen muss (in unserem Beispiel die Kaugummis) den konkreten Gebrauchswert der Tafel Schokolade braucht, um dies zu bewerkstelligen. Dabei wird der konkrete Gebrauchswertgestalt mit der extra Portion Milch zum Träger dieses gesellschaftlichen Verhältnisses, es scheint, als ob es der Tafel Schokolade genauso natürlicherweise inhärent wäre, Wert zu haben, wie es ihr natürlich ist, Kakaomasse, Milch Zucker und im besten Falle ganze Haselnüsse als Zutaten zu haben. Diese Verkehrung, die gesellschaftliche Verhältnisse als natürliche Eigenschaften der Dinge erscheinen lässt, nennt Marx den Fetischcharakter: "Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, dass sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen."6 Das unterscheidet aber genau eine kapitalistische Gesellschaft von z.B. einer feudalen: Dort ist der Leibeigene persönlich an den Herren gebunden, die Herrschaft beruht also auf personaler Abhängigkeit.
Im Kapitalismus sieht das anders aus: Das bürgerliche Individuum ist persönlich frei, zur Reproduktion aber an die gesellschaftliche Struktur gebunden, die als natürlich gegeben erscheint. Die Herrschaft ist dinglich vermittelt, wird nur in Ausnahmefällen unmittelbar ausgeübt und scheint verschwunden zu sein. In diesem Sinne spricht Marx öfters polemisch von den "Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion"7 Diese lassen sich auch nicht einfach durch Willensakte außer Kraft setzen. Für die Individuen, die in dieser Gesellschaft sich bewegen, bedeutet das zunächst einmal ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins, besitzt doch ihre "eigne gesellschaftliche Bewegung [...] für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren."8 Aber auf diese mehr psychologischen Aspekte wird in anderen Referaten eingegangen werden. Hier können wir auf einen fundamentalen Gedanken des Marxschen Ideologiebegriffs eingehen, der sich durch das ganze "Kapital" zieht. Es handelt sich bei den falschen Auffassungen, welche Leute entwickeln, die sich in dieser Gesellschaft bewegen und so mit vorgefundenen Kategorien konfrontiert werden, um notwendig falsches Bewusstsein. Ideologie bedeutet hier nicht, im Sinne einer plumpen Priesterbetrugtheorie, dass es eben Gruppen gibt, die an den falschen Auffassungen über die Gesellschaft interessiert sind und sie propagieren. Sondern die Form der Gesellschaft produziert und reproduziert aufgrund ihrer eigenen Struktur ein verkehrtes Bild von sich selbst, das nur mittels Aufklärung und Reflexion als solches erkannt werden kann, zu dessen Überwindung aber auch die Änderung der Form der Gesellschaft nötig wäre. Das Dilemma besteht nun darin, dass genau diese Änderung der Form von Gesellschaft durch den Fetisch erheblich erschwert wird: Erscheint doch Gesellschaftliches als Natürliches, also als ahistorisch und unveränderbar.

Das Geld
Diese Verkehrungen finden sich auch auf allen anderen Ebenen der Analyse. Marx zeigt im Fortgang der Darstellung, die hier nur kurz umrissen werden kann, dass sich eine Ware aus der Gesellschaft der "normalen" Waren verabschiedet, um nur den Wert darzustellen, um keinen andern Gebrauchswert mehr zu haben als den, allgemeines Äquivalent zu sein - Geld. In einer Formulierung in der Erstauflage des "Kapitals" beschreibt Marx diese Situation so: "Es ist als ob neben und außer Löwen, Tigern, Hasen und allen wirklichen Thieren, die gruppirt die verschiednen Geschlechter, Arten, Unterarten Familien u.s.w. des Thierreichs bilden, auch noch das Thier existirte, die individuelle Incarnation des ganzen Thierreichs."9
Mit diesem Zitat lassen sich zwei Anschauungen über das Geld kritisieren: Zum einen die alte merkantilistische Vorstellung, dass das Wesen des Geldes dessen Naturalform der Ware, das Gold sei. Denn was für ein Tier das allgemeine Tier repräsentiert ist egal, und die Frage, ob es überhaupt ein Tier sein muss, das diese Rolle einnimmt, bleibt auf dieser Ebene unbeantwortet. Zum anderen die Vorstellung sowohl der klassischen als der neoklassischen politischen Ökonomie, die im Geld nur ein "pfiffig ausgedachtes Auskunftsmittel"10, ein bloßes Instrument zur Vereinfachung des Warentauschs sieht. Diese Theorien sehen nicht den Zusammenhang zwischen Ware und Geld, sie implizieren, es gäbe in der Ware an sich eine Wertsubstanz, das Geld sei eigentlich unwichtig, bloßer Geldschleier. Gegen diese prämonetären Werttheorien zeigt Marx, dass das gesellschaftliche Verhältnis, in dem sich individuelle, konkrete Arbeit als allgemeine abstrakte darstellen muss, ohne Geld nicht denkbar ist. Denn vor dem Tausch lässt sich zwar die konkrete Arbeitszeit messen, ob und in welchem Maße diese sich als gesellschaftliche Arbeit bewährt, zeigt sich nur im Tausch.
Hier finden wir die Realabstraktion und den Fetisch wieder: Die Realabstraktion vollendet sich und bekommt damit gesellschaftliche Wirkmächtigkeit, da sie nun in einem Gegenstand dargestellt wird, der das Individuum in die seltsame Position bringt, "seine gesellschaftliche Macht, wie seinen Zusammenhang mit der Gesellschaft, in der Tasche mit sich [herumzutragen]"11. Und diesen Gegenstand kann jeder benutzen, ohne von den gesellschaftlichen Prozessen und Implikationen auch nur den leisesten Dunst zu haben.
Auch auf dieser Ebene erscheinen die gesellschaftlichen Kategorien in fetischisierter Form. Die Gleichung der Preisform x Ware A = y Geld, stellt wieder alles verkehrt dar. Denn es scheint, als könne man in dieser Gleichung Gesellschaftliches und Natürliches säuberlich trennen: Die Ware erscheint ganz "unschuldig", scheint bloßer Gebrauchswert ohne Tauschwert zu sein, das Geld erscheint als willkürliches gesellschaftliches Produkt, dem dann auch alle negativen Seiten der Vergesellschaftungsform angehängt werden. So zielten und zielen heute noch viele Kapitalismuskritiker und -kritikerinnen immer auf das Geld als Quelle allen Übels, als Verderber guter Sitten etc., wenn sie dieser Verkehrung aufsitzen, die den Zusammenhang von Ware und Geld verschleiert. Darunter fallen auch alle Versuche, mittels einer Reform des Geldsystems, wie z.B. durch "Schwundgeld", das man nur begrenzt aufheben kann, die Probleme des Kapitalismus zu lösen. Marx quittiert diese Vorstellungen, die das Geld gegen die Ware ausspielen wollen, mit dem Vergleich, dass man genauso gut versuchen könne, "den Papst abzuschaffen und den Katholizismus bestehen"12 zu lassen.

Das Kapital
Aber auch bei der Geldform bleibt die Dynamik kapitalistischer Gesellschaften nicht stehen, tut sich doch wieder ein Problem auf: Das Geld, verselbständigter Tauschwert, als den wir es vorher beschrieben haben, kann als gesellschaftliche Kategorie nur in der Zirkulation, die von ihm vermittelt wird, existieren. Ware wird gegen Geld getauscht, um dieses dann gegen eine andere Ware zu tauschen, oder in Kurzform: W-G-W. Bevor wir uns aber der genaueren Betrachtung der Dynamik des Geldes hin zum Kapital widmen, ist hier noch ein kleiner Exkurs zum Thema Krise angebracht.

Exkurs: Die Krise
In einem sind sich moralisierende Kapitalismuskritiker, -kritikerinnen und die bestehende Form der Gesellschaft ganz gut findende Ökonomen einig: Die Krise sei etwas, das von außen an "die Wirtschaft" herangetragen werde. Es sei etwas falsch gemacht worden, das dem System widerspricht; entweder sei wieder einmal jemand zu gierig gewesen oder einige Instrumente der VWL zur Wirtschaftssteuerung seien falsch oder nicht angewendet worden. Jedenfalls wird von einer prästabilisierten Harmonie ausgegangen, die durch externe Faktoren erschüttert wird. Nicht so bei Marx: Die Krise erscheint selbst in der Form W-G-W immer schon als Möglichkeit angelegt. Denn dadurch, dass sich der Tauschwert verselbständigt, wozu er aufgrund der Tatsache gedrängt wird, dass sich individuelle Arbeit als abstrakte darstellen muss, können die zwei Teile des Prozesses W-G-W zeitlich auseinanderfallen, es kann verkauft werden, ohne zu kaufen (W-G) und umgekehrt, womit der Zirkulationsprozess stocken kann. Dann muss sich der Zusammenhang wieder unter gesellschaftlichen und ökonomischen Erschütterungen herstellen. Diese Möglichkeit der Krise ist also strukturell in kapitalistischen Gesellschaften angelegt, wann sie aktuell schlagend wird, ist auf dieser abstrakten Ebene aber nicht zu entscheiden. Aber genug des Exkursierens.

Dieses Auseinanderfallen des einfachen Zirkulationsprozesses W-G-W hat jedoch noch eine andere Seite: Einerseits gesellschaftliche Kategorie, also ohne Tausch nicht zu denken, gewinnt das Geld als verselbständigter Tauschwert seine Selbständigkeit nur außerhalb der Zirkulation, als Schatzbildung, sonst vermittelt es nur die Waren. Als Schatz kann man zwar wie weiland Onkel Dagobert in den Münzen baden, aber seine Funktion als Geld und Zirkulationsmittel geht dabei verloren, es fällt aus der Zirkulation und wird bloßer Gebrauchswert. Also muss, um dieses Problem zu lösen, das Geld wieder in die Zirkulation zurückkehren, aber nicht zum bloßen Konsum, zum Kauf einer Ware, die verbraucht wird, denn damit wäre wiederum die Selbständigkeit beim Teufel, sondern das Geld muss in produktiver Art und Weise in die Zirkulation zurückgeworfen werden, um sowohl Selbständigkeit als auch Gesellschaftlichkeit zu erhalten. Der Wert muss sich verwerten, das Geld verwandelt sich in "Geld heckendes Geld"13, in Kapital. Aus der Formel W-G-W wird G-W-G, Geld wird vorgeschossen, um Ware zu kaufen, um diese wieder zu verkaufen, die Verwertung des Werts wird zum Selbstzweck des ganzen Unternehmens. Dabei entwickelt sich folgende Dynamik: Das Geld als verselbständiger Ausdruck der gesellschaftlichen abstrakten Arbeit ist als solcher grenzenlos, findet aber immer seine Schranke in dem konkreten Geldquantum G. Dieser Widerspruch löst sich in der vollständigen Formel des Kapitals: G-W-G´. Geld wird vorgeschossen um eine Ware zu kaufen, diese soll dann für mehr Geld (so die ganze Transaktion gelingt) wieder verkauft werden. Es wird also Mehrwert akkumuliert, und dieser Prozess wird zum Selbstzweck. Dabei erscheint im Kapitalverwertungsprozess der Wert als "automatisches Subjekt"14, das eigenständig den Formwechsel von Geld in Ware und dann in mehr Geld bewerkstelligt.
Grundsätzlich ist ein automatisches Subjekt ein Unding. Entweder jemand ist ein Subjekt, also ein selbstbestimmtes Wesen, oder etwas ist ein Automat, ein rein funktionell bestimmtes Ding. Dieser unlogische Begriff erscheint allerdings in Gesellschaftsformationen "worin der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch den Produktionsprozeß bemeistert"15 als logisch und natürlich.
Marx beschreibt das so: "Denn die Bewegung, worin er [der Wert, F.R.] Mehrwert zusetzt, ist seine eigene Bewegung, seine Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldene Eier."16 So wird das Kapital als Wertschöpfer schlechthin gesehen. Der Reim, den sich nicht nur unser dreadlocktragender Jüngling aus dem Werbespot darauf macht, ist deshalb wieder einmal notwendig falsch, da das Kapital als Subjekt erscheint, von dessen ungestörter Bewegung Wohl und Wehe der Individuen innerhalb der Gesellschaft abhängt, obwohl doch diese doch das Verhältnis konstituieren.
Wie kommt dieser Mehrwert nun zustande? Eine schlichte moralisierende Betrugstheorie, die besagt, dass die gekaufte Ware einfach zu teuer verkauft wird, steht vor dem Problem, dass wenn gesamtgesellschaftlich alle zu teuer verkaufen, alle auch zu teuer kaufen müssen, sich dadurch die Teuerungen ausgleichen müssten. Außerdem wird ja nach dem Äquivalenzprinzip, also gleich für gleich getauscht. Die Lösung kann daher nur der Kauf einer Ware sein, die die Fähigkeit hat, Mehrwert zu produzieren. Die Ware, die das bewerkstelligen kann ist die Ware Arbeitskraft, die für Lohn käuflich ist. Dabei wird das Äquivalentprinzip gewahrt: Es wird so viel für die Ware Arbeitskraft bezahlt, wie für ihre Reproduktion z. B. an einem Tag nötig ist. Der Knackpunkt an der Angelegenheit ist aber, dass die Ware Arbeitskraft mehr produzieren kann, als für ihre Reproduktion notwendig ist. Ein Arbeitstag sei mit 8 Stunden festgesetzt, und die Ware Arbeitskraft brauche 4 Stunden, um den Wert zu produzieren, den sie benötigt, um sich zu reproduzieren. Die übrigen 4 Stunden leistet der Arbeiter oder die Arbeiterin dann Mehrarbeit, produziert also Mehrwert für den Kapitalisten (im seltensten Fall für die Kapitalistin), der die Arbeitskraft ja für den ganzen Arbeitstag bezahlt hat. Wie gesagt, dabei geht alles mit rechten Dingen zu, kein Gesetz des Tausches wird dabei verletzt. Nur erscheint den Beteiligten, denen die Hintergründe unbekannt sind, der Wert der Ware Arbeitskraft als Wert der Arbeit, sie sitzen also wieder einer Verkehrung auf.
Die Beantwortung der Frage, was denn zur Reproduktion als notwendig erachtet wird, wie die der Frage nach den Grenzen des Arbeitstages sind in den konkreten Gesellschaften unterschiedlich, vom Erfolg oder Misserfolg der Verkäufer der Ware Arbeitskraft diese möglichst teuer zu verkaufen etc. abhängig: "Im Gegensatz zu den anderen Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und ein moralisches Element."17 Wie ist das nun zu verstehen? Widerspricht die plötzliche Einführung von Moral und Geschichte nicht dem vorher erwähnten Anspruch, die kapitalistische Produktionsweise in ihrem "idealen Durchschnitt"18 darzustellen? Hier ist also noch ein kleiner Exkurs zum Verhältnis von logischen und historischen Kategorien angebracht.

Exkurs II: Historie und Logik
Wie Marx schon im ersten Satz des "Kapitals" klar macht, geht es ihm um eine logische, systematische Kritik des Kapitalismus. Die ganze Entwicklung von Ware, Geld und Kapital ist eine logische Analyse des bestehenden Kapitalverhältnisses, kein historischer Prozess. Aber auch die so dargestellte Verwertungslogik hat historische Voraussetzungen: Um überhaupt erst einmal in Gang zu kommen, alle Sphären der Gesellschaft seiner Dynamik zu unterwerfen, und schließlich zur allgemeinen Vermittlungskategorie der Gesellschaft zu werden, zur gesellschaftlichen Totalität, sind historische Voraussetzungen notwendig, wie z.B. das Vorhandensein des doppelt freien Lohnarbeiters bzw. der Lohnarbeiterin.
Diese entstehen zuerst, und deshalb wird dieser spezielle Fall auch von Marx beschrieben, in England, ausgehend vom Ende des 15. Jahrhunderts in einem blutigen und brutalen Prozess. Dabei werden Kleinbauerngemeinden vom entstehenden bürgerlichen Staat von ihrem Land vertrieben, verlieren so ihre Produktionsmittel, aber auch ihre feudale Abhängigkeit. In diesem Sinne sind sie doppelt frei: Einerseits erhalten sie die Freiheit gegenüber den feudalen Herren, andererseits müssen sie, frei von Produktionsmitteln, die einzige Ware verkaufen, die ihnen noch bleibt: Die Ware Arbeitskraft. So brutal und blutig diese Entwicklung auch war, denn gegen die herumvagabundierenden Freigesetzten wurden harsche Gesetze erlassen, so falsch wäre es aber, die dabei zerstörten Dorfgemeinschaften und das angeblich einfache Leben zu idealisieren, wie das viele romantisierende Theorien der Subsistenzwirtschaft tun. Eine der wohl skurrileren Blüten in diesem Sumpf ist wohl der am ASF angekündigte Workshop mit dem schönen Titel: "Leben in Jurten - ein Beitrag zum Ausstieg aus der Verschuldung-Spirale - unmittelbar und total-konkret: raus aus dem Würgegriff des Großen Bruders."19, in dem man vor lauter Naturbelassenheit schon mal das Zeltbauen üben kann.
Dagegen ist festzuhalten: Beherrschten vorbürgerliche Gemeinschaften einerseits starke patriarchale Familien und feudale persönliche Abhängigkeitsverhältnisse, so konnten sich die Menschen von den letzteren gänzlich, von den ersteren nur teilweise, da diese sich transformierten, befreien. So ist der zivilisatorische Effekt des Kapitals nicht zu unterschätzen: Aus bornierten feudalen Gemeinschaften wird eine bürgerliche Gesellschaft. Die Individuen werden freigesetzt von alten Banden, aber dann wieder nach der neuen Gesellschaft zugerichtet: Marx beschreibt das so: "Es ist nicht genug, dass die Arbeitsbedingungen auf den einen Pol als Kapital treten und auf den anderen Pol Menschen, welche nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Es genügt auch nicht, sie zu zwingen, sich freiwillig zu verkaufen. In Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Überbevölkerung hält das Gesetz der Zufuhr und von Nachfrage nach Arbeit und daher den Arbeitslohn in einem den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechende Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise."20
Dieser Prozess lässt sich als Übergang von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu einer verdinglichten, abstrakten Herrschaft beschreiben.

Nach dem oben gesagten steht das historische und moralische Moment anders da: Diese Wendung hat nichts mit der in diesem Referat kritisierten moralischen Kapitalkritik zu tun, die entweder versucht, dem Kapital einen "eigentlichen", höheren sittlichen Wert unterzujubeln, oder in Verkennung dessen, was ein abstraktes Abhängigkeitsverhältnis ausmacht, den Kapitalisten unmittelbar zur Zielscheibe allen Ressentiments macht.
Marx verweist ja genau darauf, dass strukturbedingt der Lohn abhängig von der erfolgreichen Kapitalverwertung ist, also nicht Zweck des Ganzen ist, sondern nur Anhängsel, das versucht wird, möglichst gering zu halten, um so die Kapitalakkumulation voranzutreiben. Und diese ist für alle Arten von Kapitalien notwendig. Die häufig vorgebrachte Kritik, heutzutage stünde das produktive Kapital unter der Knute des Finanzkapitals, das nur noch auf Shareholder value aus sei, sitzt einer ähnlichen Verklärung auf, wie jene, die das Geld gegen die Ware ausspielen wollte. Denn innerhalb der Zirkulation des Kapitals spielt der Kredit, also das Finanzkapital, eine unverzichtbare Rolle. Das produktive Kapital kauft neben der Ware Arbeitskraft auch die Ware Produktionsmittel, vernutzt beides im Produktionsprozess und wirft dann die neu entstandene Ware in die Zirkulation, um sie in Geld zu verwandeln. Die genaue Formel lautet also: G-(A + Pm)...P(roduktionsprozess)...W´-G´. Das heißt, das produktive Kapital wirft nur die Menge G in die Zirkulation, will aber G´ herausziehen. Damit das gesamtgesellschaftlich funktionieren kann, muss ein Teil der Kapitalien darauf verwendet werden, das dazu nötige Geld gegen Zins vorzuschießen. Dabei erscheint das zinstragende Kapitel, in dem der Verwertungsprozess in seiner verrätselsten Form sich zeigt, als bloßes G-G´, als das "ganz Andere" des produktiven Kapitals, wie das Geld als das "ganz Andere" der Ware erscheint, obwohl doch beide innigst zusammenhängen. Denn ohne das Zusammenwirken von produktiven Kapital und Finanzkapital ist eine funktionierende Kapitalakkumulation nicht möglich, und diese ist doch das "automatische Subjekt" der kapitalistischen Gesellschaft, nach dessen Imperativen sich Kapitalisten richten müssen, wie auch Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen, solange sie sich nicht aufhören, solche zu sein.
Dabei ist auch dieses Handeln nicht moralisch zu kritisieren. Der Kapitalist, wie sein Gegenpart, agiert, wenn er als solcher fungiert, als Charaktermaske, deren Züge genau von der gesellschaftlichen Struktur vorgegeben sind. Missachtet er diese Züge und handelt er gegen die Verwertungslogik, so wird er in der Konkurrenz aller Kapitalisten untergehen. Hat ein Kapitalist die Grille, einen Lohn über dem Marktpreis zu zahlen, wird er seine teureren Waren kaum absetzen können, da andere billiger produzieren können.
Diese Drohung drückt sich auch in der Rede von den berühmten "Sachzwängen" aus, nach denen man sich eben richten müsse. Dass diese "Sachzwänge" aber gerade Verhältnissen zwischen Menschen entspringen und gesellschaftlich durchgesetzt werden, fällt dabei unter den Tisch. Da ist der zynische Peachum aus der Brechtschen "Dreigroschenoper" schon ehrlicher, wenn er singt und dabei eben von Verhältnissen redet: "Natürlich hab´ ich leider recht/ Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht/ Wer wollt auf Erden nicht ein Paradies/ Doch die Verhältnisse, gestatten sie´s?/ Nein, sie gestatten´s eben nicht."21
In einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft gelten also als Allgemeininteresse die Verwertungszwänge des Kapitals, nicht das selbstbestimmte, gute Leben der Subjekte. Denn der Mensch steht im Mittelpunkt, also dort, wo es sich für ein bloßes Mittel der Kapitalakkumulation gehört. Diesem Gedanken muss man sich stellen, da hilft kein Moralisieren, kein Hoffen auf das besser Funktionieren dieser Gesellschaft, sondern nur die "rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikt mit den vorhandenen Mächten"22 mit dem Ziel, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist."23 Und um zu verhindern, dass man sich in Vorstellungen verheddert, die "innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten aber logisch Unerlaubten"24 stehen, ist die Kritik der politischen Ökonomie unerlässlich.

1 Karl Marx an F. Lassalle, 22. 2. 1858 (MEW 29), S. 550
2 Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1 (MEW 23), Berlin 1993, S. 49
3 Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 3 (MEW 25), Berlin 1989, S. 839
4 MEW 23, S. 52
5 MEW 23, S. 88
6 MEW 23, S. 86
7 MEW 23, S. 12
8 MEW 23, S. 89
9 Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1 (Erstauflage), (MEGA II.5), S. 37
10 Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1958, S. 48
11 Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974, S. 74f
12 MEW 23, S. 102
13 MEW 25, S. 405
14 MEW 23, S. 169
15 MEW 23, S. 95
16 MEW 23, S. 169
17 MEW 23, S. 185
18 MEW 25, S. 839
19 http://lists.socialforum.at/editprog.cgi?dkey=96, 14.5.04
20 MEW 23, 765
21 Brecht, Bertolt: Die Dreigroschenoper, Berlin 1955, S. 43
22 Marx, Karl: Briefe aus den eutsch-Französischen Jahrbüchern, Berlin 1956 (MEW 1), S. 344
23 Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, Berlin 1956 (MEW 1), S. 385
24 Marx, Karl: Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, Berlin 1976 (MEW 19), S.29

Literatur:
Backhaus, Hans-Georg: Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik, Freiburg 1997
Heinrich, Michael: Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Münster 1999
Heinrich, Michael: Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, Stuttgart 2004
Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1 - 3 (MEW 23-25), Berlin 1989
Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974
Reichelt, Helmut: Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, Freiburg 2001

Weitere Literatur und ein kommentiertes Literaturverzeichnis zu dem Thema findet sich unter: www.oekonomiekritik.de