Veranstaltungsreihe der Studienvertretung Politikwissenschaft

Kulturindustrie

Mittwochs um 19.30 im HS III im NIG

 

21.3. Florian Ruttner: Eine kurze Einführung in den Begriff der Kulturindustrie oder:

Warum es kein Zufall ist, dass Neonazis auf „Herr der Ringe“ und „Matrix“ stehen

 

Der Begriff der Kulturindustrie, wie ihn Adorno und Horkheimer prägten, war stets Anwürfen ausgesetzt: Die beiden seien elitäre und kulturkonservative Schwarzseher und Spielverderber, die die Vielschichtigkeit der modernen Unterhaltung nicht verstanden hätten. Entgegen dieser Sichtweise soll zunächst einmal herausgearbeitet werden, was mit diesem Begriff denn intendiert war, und was der Untertitel des gleichnamigen Kapitels der „Dialektik der Aufklärung“, „Aufklärung als Massenbetrug“ denn genau heißen soll. Gegen diesen Betrug setzte die Kritische Theorie auf das „Madigmachen“ der Produkte der Kulturindustrie, das heißt darauf, deren Dürftig- und Schwülstigkeit aufzuzeigen. Anhand von zwei immens erfolgreichen Filmen der letzen Jahre, ­dem Fantasy-Epos „Herr der Ringe“ und dem Science-fiction-Spektakel „Matrix“ ­soll versucht werden, an diese Praxis anzuknüpfen. Dabei soll gezeigt werden, dass es keine reine Willkür ist, dass Zitate aus ebendiesen Filmen auf der Homepage einer Neonazigruppe zu finden sind.

 

Florian Ruttner hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert und lästert gern über Filme.

 

 

18.4. Gerhard Scheit: Becketts Endspiel und King of Queens – Versuch, die Kulturindustrie zu verstehen


Bei Beckett sind die Eltern von Hamm gut in den Haushalt integriert, sie leben in den Mülltonnen, und hebt Hamm den Deckel ab, sagt er nur: „Seid ihr noch nicht zu Ende? Kommt ihr nie zu Ende?“

Die Kulturindustrie macht immer weiter: Der Vater von Carrie aus der US-Sitcom King of Queens haust im Keller, aus dem er wie von einer Mülldeponie vergangener Moden seine Pullover holt. Der Unterschied ist nur, dass jeder Mann, jede Frau, mit Doug und Carrie sich identifizieren kann, nicht aber mit Hamm und Clov. Für ständige Abwechslung im Immergleichen ist gesorgt, beim Pullover-Muster wie in den Beziehungskonflikten. Während das Endspiel die Deformationen vorführt, „die den Menschen von der Form ihrer Gesellschaft angetan werden“ (Adorno), üben die US-Sitcoms durch die Deformationen hindurch, die sie affirmieren, zivilisatorische Standards ein, wie sie auf einer bestimmten Entwicklungsstufe kapitalistischer Warenproduktion jeweils möglich sind.

Diese Dialektik der Aufklärung kommt bei Adorno und Horkheimer merkwürdigerweise zu kurz. Dabei ist kein Jota ihrer Kritik an der Kulturindustrie zurückzunehmen und jede Deformation als solche zu denunzieren. Nur wäre zu fragen, ob nicht schon in der Formulierung des Begriffs der Frage des Staats zugunsten einer diffusen Vorstellung von Macht ausgewichen wird, und dadurch ungeklärt bleibt, auf welche Weise die Konsumenten der Kulturindustrie sich jeweils mit politischen Instanzen identifizieren; ob also nicht die Kritik des Staats auf dem Gebiet der Kulturindustrie erst noch zu eröffnen wäre. Für die postnazistische Situation könnte das etwa heißen, Doug und Carrie aus Queens den deutschen Paaren gegenüberzustellen, die als Tatort-Ermittler in den Nachfolgestaaten des Dritten Reichs ihr Unwesen treiben.

 

Gerhard Scheit lebt als Autor und Publizist in Wien. Zuletzt erschien: "Suicide Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt" (Freiburg 2004) und "Jargon der Demokratie. Über den neuen Behemoth" (Freiburg 2006). Mitherausgeber der neuen Werkausgabe von Jean Améry (Stuttgart 2002ff.)

 


16.5. Karin Lederer: „Hoffen? Sie halten doch die Hoffnung für einen menschlichen Fehler, Mr. Spock?“ – Dr. McCoy

Vom utopischen Anspruch in der Science Fiction

 

Die Kulturindustrie erzeugt nicht nur falsches Bewusstsein, sondern liefert auch Alternativwelten, als scheinbar kritisches Beiwerk. Zum Beispiel das nach eigenen Angaben humanistische, tolerante, multikulturelle und fortschrittliche Star-Trek-Universum. Ist Star Trek Edel-Science-Fiction oder liberale Space Opera? Moralisierender „Gegendiskurs“ oder bürgerlicher Reformismus? Verkaufsgag der Kulturindustrie oder Distributionssozialismus? Seit über 40 Jahren will Star Trek mit seinen Serien und Filmen Aufklärung und Utopie betreiben. In der Aufklärung selbst – die nicht selbstreflexiv ist und die Bedingungen ihrer Möglichkeit in die Kritik mit einbezieht – ist das Moment der Barbarei jedoch immer schon mit angelegt. Und was die Utopie betrifft, muss festgestellt werden: je konkreter und konstruktiver sie sich geriert, umso mehr tendiert sie dazu, autoritär zu sein. Utopie ist nicht unbedingt Kritik an herrschenden Zuständen durch fiktives Idealbild, sondern oft Affirmation des Bestehenden. Kapitalismus, so verkündet die Science Fiction etwa meist, sei sozusagen die gesellschaftliche Form der menschlichen Natur. Die Zukunft erscheint (in ihren positiven Varianten) als relativ konfliktfrei entstandenes „elektrifiziertes Schlaraffenland mit regem Wissenschaftsbetrieb“, bevölkert von oberflächlich bunten, folkloristischen Multi-Kulti-Männern, -Frauen und -Aliens.

 

Karin Lederer hat die Ferengi studiert. Sie lebt, liest und sieht fern. (www.korrektor.at)

 

 

6.6. Renate Göllner: Kulturindustrie und Geschlechterverhältnis – Warum Desperate Housewives besser ist als Judith Butler und ich dennoch dabei einschlafe

Die amerikanische Feministin Judith Butler hat bekanntlich keinen Begriff davon, dass diese Gesellschaft im innersten aus den stummen Zwängen kapitalistischer Verwertung besteht und in letzter Instanz durch die Androhung von Gewalt zusammengehalten wird. Die Desparete  Houswives hingegen, logische Fortsetzung von Golden Girls und Sex and the City, kommen um solche Erkenntnisse nicht so einfach herum. Bree, Gabrielle und all die anderen sind nicht in der günstigen Lage, sich eine Identität nach der anderen auszusuchen, so als wären sie auf einer permanenten Faschingsparty namens Gender Troubles.

Sind sie auch bis in jede ihrer Fasern Clichés der Kulturindustrie, wie sie im Buch stehen, und zwar in der Dialektik der Aufklärung, so liegt der Witz der Serie in ihren beständigen, überraschenden Wandlungen. Und im Hintergrund bleibt stets die Gefahr an den bürgerlichen Verhältnissen zugrunde zugehen, denen sich allein die Freiheit verdankt.

Verkehrte Welt: an der Universität triumphiert im poststrukturalistischen Jargon die Kulturindustrie; im Fernsehen hingegen findet die Reflexion statt – freilich nur so weit sie in dieser Gesellschaft ohne Einbuße an Erfolg eben möglich ist.

Und während in Amerika die Houswifes solchermaßen desperat werden, schickt man in Deutschland die Hausfrauen in die Bräuteschule 1958“. Jedem Fernsehpublikum die Serie, die es verdient.

 

Renate Göllner lebt als Autorin in Wien. Publikationen: Kein Puppenheim – Genia Schwarzwald und die Emanzipation. Frankfurt 1999; Aufsätze zur Kritik der Individualpsychologie; arbeitet derzeit an einem Buch über „Schule und Verbrechen: Wien 1938“.

 

 

20.6. Tobias Ebbrecht (Berlin): Hollywood zwischen Traummaschine und Feindbild

Hollywood ist wieder zunehmend zum Synonym für „amerikanischen Kulturimperialismus“ geworden, obwohl sich gerade aus den Reihen der Schauspielstars der Traumfabrik die prominentesten Kritiker der gegenwärtigen US-Regierung rekrutieren. Seitdem der Filmstandort an der amerikanischen Westküste zum Zentrum der Filmproduktion wurde, gilt Hollywood als Anziehungspunkt und Feindbild gleichermaßen. Der Vortrag nähert sich über eine historische und stilistische Analyse des klassischen Hollywoodkinos der Aktualität der Kulturindustriekritik, wie sie vor allem die kritische Theorie entwickelt hat. Gefesselt vom „Stein der Stereotypie“ gilt der Schematismus von Hollywoodproduktionen als Ausdruck jener Bewusstseinsindustrie, als welche populäre Unterhaltung in Summe heute angesehen wird. Der Blick für die Brüche im scheinbar statischen Genrekonzept, die gerade durch die in der Massenkompatibilität des Systems angelegte Befriedigung der innerhalb der Unterhaltungsindustrie produzierten Bedürfnisse möglich werden, wird den selbsternannten Nachfolgern der Kulturkritik heute, die mehr vom antiamerikanischen Ressentiment als von kritischer Analyse motiviert sind, unmöglich. Doch das kritische Potential von Hollywoodfilmen entfaltete sich vielmehr innerhalb des Genrerahmes (und auch innerhalb der Gesellschaft) im emphatischen Bezug auf das Individuum gegen das Kollektiv. An neueren, explizit politischen Hollywoodproduktionen soll gezeigt werden, wie dieses kritische Potential der Hollywoodästhetik in ihrer postmodernen Fortführung verschwindet und in Ressentiment umschlägt.

 

Tobias Ebbrecht ist Filmwissenschaftler und lehrt Filmgeschichte an der Hochschule für Film und Fernsehen “Konrad Wolf” in Potsdam. Er ist aktiv im Berliner Verein Kinoglaz, der gesellschaftskritische Filmarbeit betreibt. Außerdem publiziert er zur Kritik deutscher Erinnerungskultur und zur Repräsentation von Holocaust und Nationalsozialismus im Film, u.a. in der Online-Zeitschrift „Die Jüdische“. Zuletzt ist von ihm ein Aufsatz in dem Sammelband „Zur Abwesenheit des Lagers“ (Verbrecher Verlag, 2006) erschienen.