Mit linken Mythen aufräumen
Veranstaltungsreihe der
Studienvertretung Politikwissenschaft
31.10. Dalaimann, geh du
voran! Tibet als Provinz westlicher Sinnsuche
Vortrag und Diskussion mit
Horst Pankow
20 Uhr, HS III, NIG,
Universitätsstr. 7
„Sport ist Mord“ lautete
einer der wenigen Slogans aus der versunkenen Welt der alten „Neuen Linken“,
die auch nach den postmortalen Desillusionierungsexzessen von Veteranen und
Spätberufenen noch eine gewisse Geltung beanspruchen dürfen. Freilich stellt
sich in der Rückschau die Bedrohlichkeit öffentlich inszenierter Leibesübungen
vor allem als Gefahr, an Langeweile zumindest mental zugrunde zu gehen, dar.
Dass Angehörige der „eigenen Nation“ schneller laufen, höher springen und
allerlei Kindereien besser beherrschen als „die anderen“ - was nützt das
angesichts schwindender Hoffnung im Ozean kapitalistischer Konkurrenz die
Strohhalme vermeintlicher Rettung vor den anderen zu erreichen oder der
Aussicht mit Strohhalm und anderen gemeinsam unterzugehen. Spannend war die
Olympiade in München 1972, als palästinensische Antisemiten die deutsche Idee
einer eschatologischen Endlösung ins Urheberland qua praktizierten Judenmordes
zurück brachten und im finalen Schießwettbewerb mit bayerischen Polizeikräften
erhebliche Trefferquoten erzielten. Die Palästinenser der diesjährigen
Olympiade in China sollten aus China kommen - aus Tibet, dem „Dach der Welt“.
Hatte doch im März eine tibetische Hamas-Bewegung den „Volksaufstand“ gewagt
und konsequenterweise „Fremdstämmige“ durch Brandschatzung massakriert.
Angesichts dieser Erwartungen geriet die Olympiade angesichts mangelnder
tibetisch-nationaler Manifestationen zur Enttäuschung. Die von westlichen
Medien unisono als „spiritueller Führer der Tibeter“ bezeichnete Person, der
„XIV. Dalai Lama“ hatte sich nicht nur von den mörderischen tibetischen
Märzereignissen ausdrücklich distanziert, während der Olympiade besuchte sie
demonstrativ das „laizistische“ Frankreich, das kurz darauf den katholischen
Papst eine Art „privilegierter Partnerschaft“ anbieten sollte. Überhaupt
unterbietet der Dalai Lama in seinen öffentlich und darüber hinaus publizierten
Äußerungen die verbalen Sensationen der Sinnsucher eines neuen
„antitotalitären“ Zusammenhangs. Angesichts des westlichen Gegeifers gegen „Maos
Horden“ und „bolschewistische Kulturvernichtung“ lesen sich seine Schriften
verhältnismäßig moderat und gleichermaßen langweilig. Er hat zwei Optionen: Ein
„autonomes Tibet“ innerhalb des bestehenden Chinas, inklusive der
Transferzahlungen seitens der Pekinger Zentrale, oder ein „selbständiges“ unter
westlicher Ägide, vor allem finanziert durch den Hauptexportartikel
„Spiritualität“. Seine westlichen Anhänger - hat er überhaupt andere? - sehen
in ihm eine Lichtgestalt, einen modernen Propheten. Dabei zehren sie vor allem
von eigenen „spirituellen“ Leistungen, denn in den Schriften „Seiner
Heiligkeit“ (offizielle Anrede nicht nur unter ausgemachten Jüngern) ist von
Originalität wenig zu verspüren. Die aus diesen Schriften sprechende allgemeine
Diffusität mag ein Schlüssel zum Verständnis der Attraktivität dieses
„Heiligen“ sowohl bei Pazifisten wie bei Anhängern der Folter (Roland Koch u.
ä.) zu sein. Immerhin ergab eine Umfrage im vergangenen Jahr, dass der Tibeter
bei den Österreichern beliebter ist als der deutsche Papst in Rom. 49% der
Befragten vertrauten dem Lama, Herr Ratzinger brachte es nur auf 33%. Vor allem
solche Projektionen und ihre Funktion(en) für westliche Sinnsucher sollen in
der Veranstaltung thematisiert werden.
Es spricht Horst Pankow.
Er lebt in Berlin und veröffentlicht Einwände gegen den Irrationalismus dieser
Zeit u.a. in „konkret“, „Bahamas“ und „Prodomo“.
20.11. Der Sozialismus
des 21. Jahrhunderts. Anmerkungen zur „bolivarischen“ Willkürherrschaft
Vortrag und Diskussion mit
Philipp Lenhard
19.30, Hörsaal II, NIG, Universitätsstr. 7
Frenetisch wird der venezolanische Führer Chávez von Linken in aller Welt
gefeiert. Aus dieser Tatsache kann man zweierlei folgern: Entweder wissen diese
Linken nicht, welchen Charakters der venezolanische Aufbruch ist - dann wäre es
ihre Pflicht, darüber Erkundigungen einzuholen; oder, was wahrscheinlicher ist,
sie wissen es und sind gerade deshalb voll des Lobes für Chávez - dann wäre das
jedoch ein Verrat an der Idee der Emanzipation, die sie ständig so vollmundig
proklamieren. Denn der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ist ein Programm der
Elendsverwaltung, das die Verschmelzung der verarmten Massen zu einer
antiimperialistisch verklärten Gemeinschaft anstrebt und durch erpresserische
staatliche Almosengaben erkauft.
Es spricht Philipp
Lenhard, Redakteur der Kölner Vierteljahreszeitschrift Prodomo und Autor u.
a. für Bahamas und Konkret, gelegentlich auch Jungle World und Phase2.
11.12. Who killed Bambi?
Über das regressive Bedürfnis der Tierfreunde
Vortrag und Diskussion mit
Jan Gerber und Michael Bauer
19.30, Hörsaal II, NIG, Universitätsstr. 7
Der Veganismus ist
elementarer Bestandteil des geistigen Repertoires deutscher Alternativkultur.
Vegane „Volxküchen” sind aus autonomen Jugendzentren, besetzten Häusern und
linksradikalen Sommercamps genauso wenig wegzudenken wie schwarze
Kapuzenpullover und Handlungsanleitungen zur Verbesserung der Welt. Das
Engagement gegen Tierquälerei scheint zwar auf den ersten Blick nicht
verwerflich. Doch spätestens seit auch Nazis „Go Vegan“-Shirts tragen, wird
offenbar, dass viele Tierfreunde noch ganz andere ideologische Munition geladen
haben. Wenn vegane Tierrechtler offen von den „Mächten des Bösen“ fabulieren,
vom „Vegan Jihad“ träumen und ihre Avantgarde bereits das „sanfte Verschwinden
der Menschheit von der Erde“ predigt, wird deutlich, dass hinter der Entscheidung
auf Tierprodukte zu verzichten, ein politisches Konzept steht. Gezeigt werden
soll, warum die Tierfreunde mit ihrer antispeziesistischen Forderung nach der
Gleichsetzung von Mensch und Tier lediglich exekutieren, was ohnehin auf der
Tagesordnung steht. Es soll zugleich um die Beantwortung der folgenden Fragen
gehen: In welcher Tradition steht die vegane Tierrechtsbewegung? Welcher
Zusammenhang besteht zwischen Tierliebe und Menschenhass? Und: Woher stammt das
obsessive Verhältnis veganer Tierrechtler zu Splattervideos aus Schlachthöfen
und Fotos von zerstückelten Tieren, ohne die offenbar keine ihrer Kampagnen
auskommt?
Es referieren Michael
Bauer und Jan Gerber. Beide gehören zum Diskussionskreis
"Materialien zur Aufklärung und Kritik" (www.materialien-kritik.de)
in Halle. Jan Gerber schreibt u.a. für "Bahamas" und "Phase
2" und ist Mitherausgeber des Buches "Rote Armee Fiktion" (ca
ira: Freiburg 2007). Micha Bauer ist Redakteur der Zeitschrift "Bonjour
Tristesse" (www.bonjour-tristesse.tk).
15.1. Jean Améry und die
Neue Linke
Vortrag und Diskussion mit
Esther Marian
19.30, Hörsaal II, NIG, Universitätsstr. 7
Als im Mai 1968 die Pariser
Revolte ausbrach, war Améry begeistert und machte sich sofort nach Frankreich
auf. Welche Hoffnungen er in die protestierenden Studenten und streikenden
Arbeiter setzte, geht aus seinem im Bericht von dieser Reise hervor, der davon
handelt, wie eine Revolution, kaum begonnen, aufgrund der
Staatsstreichdrohungen der französischen Rechten und der staatstragenden
Haltung der linken Parteien und Gewerkschaften im Sande verläuft.
Nur wenige Jahre später
steht Améry der 68er-Bewegung deutlich distanzierter gegenüber: seine
politischen Essays lesen sich fast durchwegs als kritische Kommentare zu
Ideologemen der Protestbewegten. Mit jedem Aufsatz wird deutlicher, dass es um
mehr geht als um Nichtübereinstimmung in einzelnen Punkten: das politische
Programm der Neuen Linken ist für Améry insgesamt problematisch geworden, wenn
er sich auch nach wie vor als Linksintellektueller begreift. In diesem Vortrag
geht es um diese schrittweise Distanzierung und um ihre Gründe, zu denen nicht
zuletzt der protestbewegte Antizionismus gehört.
Esther Marian ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig
Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie in Wien. Ihr
Studium der Politikwisenschaft, Philosophie und Geschichte an der
Philipps-Universität Marburg, Deutschland, schloss sie mit einer kritischen
Studie zu Ernst Jüngers "Der Arbeiter" ab. Derzeit arbeitet sie an
einer Dissertation zu Siegfried Kracauers "Jacques Offenbach und das Paris
seiner Zeit", Walter Benjamins Fragmenten zu Baudelaire und Hermann Brochs
"Hofmannsthal und seine Zeit". Sie hielt Vorträge und publizierte
Essays u.a. zu Islamismus, Antisemitismus und Antizionismus, zu Manès Sperber,
Siegfried Kracauer und Hermann Broch.
Und am selben Abend:
68 in Österreich: Von einer
heißen Viertelstunde zum Hass auf Israel und die USA
Vortrag und Diskussion mit
Stephan Grigat
In Deutschland erzwang die
von den US-Behörden betriebene Reeducation eine oberflächliche
Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und vermittelte ein westlich-demokratisches
Ideal, an dem die Protestbewegung der 1960er Jahre die Realität sowohl der
bundesrepublikanischen Gesellschaft als auch der US-amerikanischen Außen- und
Innenpolitik messen konnte. Das fast vollständige Fehlen solch einer
Reeducation erschwerte in Österreich die Herausbildung einer Bewegung, die sich
einerseits an den Idealen der US-amerikanischen demokratischen Siegermacht
orientieren und andererseits diese Ideale kritisch gegen die reale Politik der
USA in den 60er Jahren hätte richten können.
Dennoch existieren
Ähnlichkeiten in der Entwicklung der deutschen und österreichischen Linken.
Auch in Österreich forcierte die Linke seit 1967 ihre Kritik an Israel, während
die Kritik am Antisemitismus nur mehr eine untergeordnete Rolle spielte. Zugleich
etablierte sich eine Form des Antiamerikanismus, die für die Nachfolgestaaten
des Nationalsozialismus charakteristisch ist: die Kritik an den USA wurde
mittels ihrer Gleichsetzung mit dem Nationalsozialismus praktiziert.
Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter am Institut für
Politikwissenschaft der Universität Wien, arbeitet als Berater der Kampagne www.stopthebomb.net und ist in der Gruppe
www.cafecritique.priv.at
assoziiert. Er ist Mitherausgeber des Bandes „Der Iran - Analyse einer
islamischen Diktatur und ihrer europäischen Förderer“ (Studienverlag 2008),
Herausgeber von „Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen
Postnazismus und Islamismus“ (ça ira 2006) und Autor von „Fetisch und Freiheit.
Über die Rezeption der Marxschen Fetischkritik, die Emanzipation von Staat und
Kapital und die Kritik des Antisemitismus“ (ça ira 2007).