Einladung zu einer Konferenz anlässlich des
150. Geburtstags Sigmund Freuds
13./14.10.2006, Hörsaal
8 der TU Wien, 4., Karlsplatz 13
Lageplan: http://www.wegweiser.ac.at/tuwien/hoersaal/H8.html
„Why live, if you can be buried for ten Dollars?“
Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt,
ist man krank, denn beides gibt es ja in objektiver Weise nicht; man hat nur
eingestanden, daß man einen Vorrat von unbefriedigter
Libido hat, und irgend etwas anderes muß damit
vorgefallen sein, eine Art Gärung, die zur Trauer und Depression führt.
Großartig sind meine Aufklärungen gewiß nicht.
Vielleicht weil ich selbst zu pessimistisch bin. Mir geht ein ‚advertisement’ im Kopf herum, das ich für das kühnste und
gelungenste Stück amerikanischer Reklame halte: „Why
live, if you can be buried
for ten Dollars?“
Sigmund Freud
an Marie Bonaparte, 13. August 1937
Zum 150. Geburtstag Sigmund Freuds fehlt neben
allerlei sinnvollem Historischen nicht, was anlässlich von 100 Jahren Theodor
W. Adorno schon zu erleben war: die Nutzbarmachung des Jubilars zur
Aufrechterhaltung von Verhältnissen, die ihre Aufrechterhaltung nicht nur
prinzipiell nicht verdienen, sondern im 20. Jahrhundert in allerletzter
Konsequenz verwirkt haben. Die Gründe dafür hat der Konflikt zwischen
Psychoanalyse und Gesellschaftskritik in seinen produktiven Phasen dargelegt,
etwa in den Studien zu „Autorität und Familie“ und zum „autoritären Charakter“.
Die im Gefolge von Achtundsechzig unternommenen Versuche, an die fruchtlosen
Debatten um Marxismus und Psychoanalyse anzuknüpfen, deren Ziel die
Psychoanalyse zur Psychologie des Sozialismus zu machen war, ermöglichten
endgültig ihre Handhabung als Jargon einer alltagstauglichen Sozialpsychologie,
die wiederum in die Psychoanalyse der letzten zwanzig Jahre einfloss. Während
Kritische Theorie, die sich auf die Psychoanalyse stützt, stets an Freuds
Orthodoxie festhielt, waren es vornehmlich Linke, die dessen Lehre revidierten
und sie mit verbalradikalem Gestus von einem radikalen Medium der Aufklärung zu
einem der praktischen Anpassung an die bestehenden Verhältnisse machten. Diese
Revision nahm bereits zu Lebzeiten Freuds durch Alfred Adler und Wilhelm Reich
ihren Ausgang und schlug sich nicht zuletzt in der wohlwollenden bis
emphatischen Rezeption des Nazisymphatisanten C. G.
Jung und des Heidegger-Verehrers Jacques Lacan
nieder. Wesentliche Erkenntnisse der Psychoanalyse, wie die Trieblehre, die
Bedeutung des Unbewussten, die Mechanismen von Verdrängung und Sublimierung
sowie die infantile Sexualität, sind auf die eine oder andere Weise
zurückgenommen worden, wodurch zugleich die gesellschaftskritische Wahrheit der
Psychoanalyse entwertet wurde: der grundlegende, nicht aufzulösende, in der
Geschichte immer andere Formen annehmende Konflikt zwischen den Trieben und der
Zivilisation, dessen Produkt das Individuum ist, wurde als Anpassungskonflikt
rationalisiert. So wurde den „revolutionären Vorstößen der unbequemen
Psychoanalyse“ (Freud) der Stachel gezogen.
Gerade an der Zurücknahme der gesellschaftskritischen
Implikationen der Psychoanalyse zeigt sich auch heute ihre Verwobenheit ins
falsche Ganze. Hatten die Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen
jahrzehntelang bewusst zu Gesellschaftlichem geschwiegen und sich, nicht zu
ihrem Nachteil, auf die Klinik konzentriert, scheint es heute so, als hätten
sie nichts mehr zu sagen, als würde ihnen partout nichts mehr über
gruppendynamische Weisheiten Hinausgehendes einfallen. So sich Psychoanalytiker
und Psychoanalytikerinnen überhaupt zu politischen Themen äußern, scheinen sie
nur das Verdikt zu bestätigen, dass sie – im besten Fall – nichts zur
theoretischen Durchdringung gesellschaftlicher Phänomene beitragen können.
Freud hingegen bot Aufklärung über die Familie als
Elementarform der Gesellschaft, und er stärkte zugleich das Individuum, das aus
der Familie hervorgeht, gegenüber dieser Gesellschaft. Damit schuf er die
Voraussetzung, die totale Zurichtung des Einzelnen für Staat und Kapital bis
ins Innerste seelischer Vorgänge zu analysieren und dennoch an diesem Einzelnen
als Individuum festzuhalten, das sich all dessen bewusst werden kann und soll.
Noch dort, wo Freud wie z. T. beim Geschlechterverhältnis zu biologistischen
Konzepten Zuflucht nimmt, behauptet sich diese Parteilichkeit fürs Individuierte. Wenn Homosexualität als dessen eigenste
Möglichkeit verstanden wird, ist auch eine homophobe
Psychoanalyse nicht mehr denkbar.
Daran hat jede Kritik sich zu messen, die ihrem, von
Marx bis zur Kritischen Theorie geprägten Begriff gerecht werden möchte und dem
Zwang des repressiven Kollektivs die freie Assoziation der Individuen
entgegensetzt. Angesichts islamischer Familienmoral und jihadistischer
Banden wäre es dringlichste Aufgabe der Linken, mit Hilfe der Freudschen
Analyse die reaktionären Grundlagen des Islams aufzuzeigen und zu kritisieren.
Patriarchale Gewalt, Triebverleugnung und Lustfeindlichkeit, Bereitschaft zum
Opfer, Homophobie und Antisemitismus: dies sind die Elemente der Regression,
die den Islam für den autoritären Charakter von heute, der besser ein
antiautoritärer genannt werden sollte, zum derzeit attraktivsten Angebot macht.
Eine Psychoanalyse wie eine Linke hingegen, die solche Repressionen unter dem
Schlagwort Multikulturalismus rechtfertigen, sind auch am logischen Endpunkt
ihrer Freud-Rezeption angekommen. Die Aktualität der Freudschen Analyse im
Zeitalter des Suicide-Bombing und der Ehrenmorde kann
nur gegen sie durchgesetzt werden.
Solche Aktualität nötigt zugleich, sich auch die
unverdaulicheren Stücke der Freudschen Theorie erneut ins Bewusstsein zu rufen
und auf ihren Wahrheitskern hin zu überprüfen. In Zeiten der Prosperität und
des Status quo der „Supermächte“ konnte die radikale Kulturkritik Freuds noch
als überkommene Zutat abgetan oder als zeitgebundene Annahme relativiert werden.
Mittlerweile fällt es bereits schwerer, den Todestrieb einfach zu ignorieren.
Es drängen sich die alten Fragen auf: Worin liegt der Zusammenhang des
Todestriebs mit dem Potential gesellschaftlicher Destruktivität? Was ist
überhaupt der Todestrieb? Ist er die Hypothese, dass dem Menschen die
Selbstzerstörung biologisch vorgegeben sei, und bestünde also praktische
Gesellschaftskritik darin, diese Hypothese zu widerlegen? Oder ist der
Todestrieb die nur in letzter Instanz und nur in äußerster Allgemeinheit
fassbare, biologische Reaktionsform auf ein nicht-biologisches, sondern
gesellschaftlich produziertes Schicksal, das dem eigentlichen Trieb, der
Libido, widerfährt? Deutlich ist nur, dass seine Erkenntnis unmittelbar
keinerlei Erklärung des einzelnen Selbstmordattentats wie der Vernichtungswut
des islamischen Mobs bieten kann, aber über das hier drohende Potential, das
doch die Selbstzerstörung der Menschheit beinhaltet, Aufklärung schaffen
könnte.
Freuds Aktualität liegt jedenfalls genau dort, wo ihn
schon viele seiner Zeitgenossen für überholt hielten. Denn keineswegs war
Freuds Pessimismus die selbstzufriedene Resignation des Bürgers, noch war sie
eine Einladung zur Esoterik. Es ist vielmehr die Formulierung des
Selbstzweifels, auf den eine radikale Gesellschaftskritik permanent
reflektieren muss, gerade wenn sie, wie in der heutigen Situation, das
Schlechte gegen das Schlimmste zu verteidigen hat. Von einem können weder
Gesellschaftskritik noch Psychoanalyse lassen, ohne selbst unterzugehen: dem
bürgerlichen Subjekt, das sein Leiden spürt. Im allenthalben zu hörenden Lob
des Tüchtigen, Zupackenden und der mit ihm einhergehenden Häme über den
Zögerlichen, Abwartenden, Distanzierten, Nicht-Mitmachen-Wollenden
vermittelt sich ideologisch die Tendenz einer Gesellschaft, in der selbst noch
der eigene Tod zum Gegenstand ökonomischer Kalkulation wird. Diese überall
anzutreffende Todessehnsucht, von Suicide-Bombing bis
Sterbehilfe, auf ihren kritischen Begriff zu bringen, ist ohne Freud unmöglich.
Es kann keine radikale Gesellschaftskritik ohne Psychoanalyse geben.
Programm:
Freitag,
13.10.
16.30: Begrüßung und Einleitung: Freud ohne Wien - Psychoanalyse im Zeitalter des Suicide Bombing
Alex
Gruber arbeitet
als Historiker für den Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des
Nationalsozialismus. Publikationen: Der Wert des Souveräns. Zur Staatskritik
des Eugen Paschukanis (mit Tobias Ofenbauer), in: Eugen Paschukanis: Allgemeine
Rechtslehre und Marxismus. Versuch einer Kritik der juristischen Grundbegriffe,
Freiburg 2003; Deutschland – Amerika. Die kritische Theorie im Kampf gegen
Nazideutschland und die Bedeutung der USA für die Kritik, in: Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation.
Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus, Freiburg 2006
I. Apologien des
regressiven Kollektivs
17.00:
Gemeinschaftsgefühl als Ende der Psychoanalyse – Alfred Adler und die Folgen
Renate Göllner
Der Bruch zwischen
Freud und Alfred Adler im Jahr 1911 führte zur Entstehung der
Individualpsychologie, der ersten großen revisionistischen Bewegung, deren
gesellschaftlicher Einfluß im Roten Wien bedeutender
war, als jener der Psychoanalyse. Ihre Popularität und ihr Naheverhältnis zur
österreichischen Sozialdemokratie verdankt Adlers pädagogische Psychologie der
Preisgabe grundlegender psychoanalytischer Erkenntnisse: der Trieblehre, der
Bedeutung des Unbewußten, der infantilen Sexualität
und der Verdrängung. Im Gegensatz zu Adlers Gemeinschaftsgefühl und dessen
indirekter Affirmation staatlicher Interessen, trägt Freuds Analyse –
insbesondere in der Massenpsychologie – dazu bei, das Individuum gegenüber dem
Kollektiv zu stärken. Auf dieser Grundlage unterzog Siegfried Bernfeld in
seiner Schrift Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung als einziger
Psychoanalytiker den Erziehungsoptimismus der Sozialdemokratie einer scharfen
Kritik. Es stellt nicht zuletzt die Frage, ob Adler (ohne unbedingt beim Namen
genannt zu werden) nicht nachträglich und endgültig über Freud triumphiert; ob
die Individualpsychologie mit ihrer Fetischisierung des „Gemeinschaftsgefühls“
nicht längst die gesamte psychotherapeutische Praxis und deren
Ideologisierungen erfaßt, und die Psychoanalyse
endgültig beschädigt und verdrängt hat.
Renate Göllner lebt als Publizistin in Wien; Arbeiten zur Geschichte
der Psychoanalyse, schrieb die erste Monographie über Eugenie Schwarzwald. Kein Puppenheim. Genia Schwarzwald und die
Emanzipation (1999). Arbeitet zur Zeit an einem Buch über Verfolgung und
Vertreibung jüdischer Schüler von Wiens Gymnasien.
18.30: Wilhelm
Reich oder das Unbehagen an der Abstraktion
Horst Pankow
Auch die Psychoanalyse erschien nach ihrer heroischen
Phase im Stande der Konsolidierung vom „Kampf verschiedener Linien“
gekennzeichnet. Sie brachte „linke“ und „rechte“ Dissidenten hervor. Zu den
ersten zählt im Verständnis vieler Interessierter Wilhelm Reich, zu den zweiten
C. G. Jung. Dass beide am Ende ihrer höchst unterschiedlichen Lebens- und
Erkenntniswege der gleichen Passion – der halluzinatorischen Beschäftigung mit UFOs und Außerirdischen – frönten, findet hingegen selten
Erwähnung. Dass für beide das vermeintliche Fehlen einer in der sog.
Wirklichkeit aufzufindenden Grundlage des Unbewussten und seiner vertrackten
Wunschproduktion den gemeinsamen Antrieb zur Opposition gegen Freudschen
Skeptizismus darstellte, wird in der Regel be- und verschwiegen. Nachdem Jungs
Antisemitismus und seine Nähe zu dessen NS-Vernichtungsvariante inzwischen
weitreichend thematisiert worden sind, möchte man sich den Autor der „sexuellen
Revolution“ und der „Massenpsychologie des Faschismus“ gern – trotz mancherlei
Einschränkungen – als Ikone erhalten. Doch Reich war schon als Freud-Schüler,
dann als scheiternder sexualpolitischer Reformator der stalinistischen
deutschen Arbeiterbewegung ebenso wie als mad
scientist einer obskuren Orgon-Therapie
von biologistischen und lebensreformerischen Theoremen besessen, die ihn und
viele seiner Post-68er-Anhänger in die Bereiche eines vitalistischen
Autoritarismus führten. Schon früh ersetzte Reich, zunächst von Freud unbemerkt,
den Terminus Sexualität durch Genitalität. War für Freud
Sexualität stets mit unbewussten Assoziationen und Wünschen verknüpft, durch
solche wesentlich motiviert, wollte Reich sie physiologisch verorten. Indem er
so die Libido quantifizierte, sie messbar und deren Quanta
(durchaus im marktökonomischen Sinne) als vergleichbare vorstellte, begründete
er ein aktivistisches und normatives Programm der „Arbeits- und
Liebesfähigkeit“, das – wenngleich anders formuliert und wohl auch intendiert –
die Nähe zu autoritären Entwürfen kaum zu verbergen vermag.
Der Publizist Horst Pankow lebt in Berlin und veröffentlicht u. a. in "Konkret".
20.00: Psychoanalyse nach Auschwitz –
Die deutsche Fähigkeit zu trauern und die französische Kur für den Souverän
(Mitscherlich, Lacan)
Gerhard Scheit
In
der Frage des Antisemitismus hatte Freud wenig Lust, „Erklärungen zu suchen“,
verspürte hingegen „eine starke Neigung“, sich seinen „Affekten zu überlassen“.
Damit markierte er die Grenzen der Psychoanalyse im Zeitalter der Vernichtung.
Die Neigung gilt es heute, als Reflexion dieser Grenzen, zu stärken,
andernfalls endet die Freudsche Lehre bei der alten akademischen Unfähigkeit zu
denken und der neuen deutschen Fähigkeit zu trauern – also bei Alexander und
Margarete Mitscherlich. Deren Therapie sucht den einzelnen mit einer
Gesellschaft zu versöhnen, die ja nur im besten Fall das „gemeine Unglück“ und
das „übliche Los der Menschheit“ (H. Marcuse) bieten kann, statt ihre für alle
geltenden Glücksversprechen einzulösen. Im schlechtesten Fall, in der Krise,
wird dieser Leviathan zu Behemoth, das gemeine
Unglück der Gesellschaft zum hysterischen Glück der Gemeinschaft, die auf
Vernichtung geht und ihre eigene miteinschließt, nur
damit jene Glücksversprechen für den einzelnen niemals erfüllt werden sollen:
„Einverständnis mit dem Opfer seines Lebens aus Gründen, die dem menschlichen
Leben sein Maß geben“. Das ist wortwörtlich das Ziel der Kur, die Lacan, der Theoretiker des Todestriebs, verschreibt. Und an
ihr scheitert jeder Erklärungsversuch.
Gerhard
Scheit, lebt als Publizist in Wien. Bücher: Mülltrennung.
Beiträge zu Politik, Literatur und Musik (1998); Verborgener Staat, lebendiges
Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus (1999; 2006); Meister der Krise
(2001); Suicide Attack. Zur
Kritik der politischen Gewalt (2004); Herausgeber zweier Bände der neuen Jean Améry-Werkausgabe: Jenseits von Schuld und Sühne,
Unmeisterliche Wanderjahre, Örtlichkeiten (2002); Aufsätze zur Philosophie
(2004).
Samstag, 14.10.
II. Geschlechteridentität und Repression
10.00: Psychoanalyse als Gendertheorie – Freud und seine „Kritikerinnen“
Ljiljana Radonic
Freud
beschreibt die weibliche Normalentwicklung als eine Verunmöglichung eines starken
Ichs. Trotz der Implikationen biologischer Determiniertheit z.B. des
Penisneides ist das psychoanalytische Modell – gesellschaftlich gewendet – zur
Analyse der geschlechtsspezifischen Entwicklungsbedingungen, welchen die
Individuen unterworfen sind, unverzichtbar. Eine Modifikation im Rahmen der
Freudschen Kategorien ist möglich und notwendig, denn ohne Begriffe wie
Verdrängung, Verinnerlichung oder Identifikation ist eine Kritik, will sie für
das einzelne Subjekt Partei ergreifen, nicht denkbar.
Nur
scheinbar im Rahmen dieser Kategorien bleiben die Kritikerinnen der Freudschen
Psychoanalyse, wenn sie die Rolle des Unbewussten oder die infantile Sexualität
negieren, ganz zu schweigen von der idiosynkratischen
Missdeutung der Freudschen Konzepte. Sogar bei Analytikerinnen vertragen sich
Feminismus und Psychoanalyse nicht, eine Analyse gesellschaftlicher Zwänge, die
auf das Individuum im allgemeinen und auf Frauen im besonderen wirken –
ausgeschlossen. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildet Judith Butler, deren
mit bloßen Versatzstücken arbeitendes Ressentiment die Psychoanalyse zu Tode dekonstruiert.
Ljiljana Radonic ist
Lehrbeauftragte am Wiener Institut für Politikwissenschaft. Publikationen: Die
friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und
Antisemitismus Frankfurt/M. 2004; Psychopathologie
der Normalität. Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Kritische Theorie, in:
Stephan
Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation.
Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus, Freiburg 2006; Sexualität
und Mutterschaft. Geschlechterverhältnisse im Nationalsozialismus, in: Jungle World
21/2006
11.30: Die Dekonstruktion der sexuellen
Normalität in den „Drei Abhandlungen“ – Perversion und Homosexualität in der
Psychoanalyse
Martin Dannecker
Nachgehen
werde ich in meinem Vortrag Freuds Dekonstruktion der sexuellen
Normalitätsvorstellungen, wobei ich mich vor allem auf die Abhandlung über die
„sexuellen Abirrungen“ konzentrieren werde. Beschäftigen werde ich mich
folglich vor allem mit den Phänomenen männliche Homosexualität und Perversion
und deren Bedeutung für das sexuell Normale. Während das sexuell Normale sich
in der ersten Abhandlung bis zur Unkenntlichkeit verflüchtigt, kehrt es in den
beiden anderen Abhandlungen gleichsam in
entwicklungspsychologischer Gestalt wieder zurück, was zu einer bis
heute in der Psychoanalyse nicht abgetragenen Ambivalenz gegenüber den nicht
als normal angesehenen Sexualitäten führte.
Martin Dannecker arbeitete bis
Ende des vergangenen Jahres als Professor für Sexualwissenschaft an der
Universität Frankfurt am Main. Er ist Autor zahlreicher Publikationen und
Mitherausgeber der "Zeitschrift für Sexualwissenschaft" sowie der
"Beiträge zur Sexualforschung".
14.30 Dialektik der Homophobie – Angst
vorm Männerbund und Parteinahme für die Schwulen in der Kritischen Theorie
Tjark Kunstreich
Weil
sie in ihren Annahmen zur Homosexualität sich an Freud orientiere, wird der
Kritischen Theorie vorgehalten, sie sei homophob.
Entsprechende Textstellen aus der „Dialektik der Aufklärung“ und anderen Werken
werden bis zur Ermüdung wiederholt, tatsächlich klingen sie nicht nach Freud,
sondern Wilhelm Reich, der, wie viele Linke dieser Zeit, meinte, die Nazis als
Homosexuelle denunzieren zu müssen. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno aber
haben nicht Reichs Homophobie übernommen: Sie haben dessen verkehrten Begriff
vom Faschismus als Herrschaft der Bruderhorde und der notwendigen
gesellschaftlichen Homosexualität vom Kopf auf die Füße gestellt, indem sie ihn
auf Freud zurückführten. Gerade dies befähigte den späten Adorno zu einer
rührenden Parteinahme für das homosexuelle Individuum als Opfer jener
verleugneten gesellschaftlichen Homosexualität. Der Vorwurf der Homophobie
gegen die Kritische Theorie hilft, die Verleugnung aufrechtzuerhalten, die das
individuelle Leid des homosexuellen Einzelnen bedingt.
Tjark Kunstreich lebt als
Sozialarbeiter und Publizist in Berlin.
III. Deutsche Ideologie, Islam,
Todestrieb
16.00:
Psychoanalyse der Deutschen
Joachim Bruhn
Der
Nazifaschismus hat die Bedingung der Möglichkeit zerstört, die Gesellschaft,
wie immer auch ideologisch, als Interaktionszusammenhang, bei dem es auf
Motivation noch irgend ankäme, sich intellektgerecht zurecht zu legen. Das
trifft die Kategorie des Subjekts ins Mark. Nicht mehr kann sie, emphatisch,
wie bei Sigmund Freud, als Anweisung darauf betrachtet werden, das
"Ich" gegen seine angeborenen Feinde zu verwirklichen; vielmehr ist
sie als die Inkarnation des gesellschaftlichen Zwangs zur Identität zu
verhandeln. Die Transformation der bürgerlichen Gesellschaft ins totale
Mordkollektiv zeigt, daß das "Subjekt"
keineswegs der Ort freier Selbstbestimmung und vernünftiger Spontaneität ist,
sondern nur eine juristische, eine politökonomische Kategorie des
Warentausches, eine Kategorie des Bürgerlichen Gesetzbuches. Wie die Ware, das
hat Alfred Sohn-Rethel gezeigt, unterm identischen
Preisschild den Naturprozeß stillstellt
und als Realabstraktion verfährt, so zwingt das Subjekt als vom Staat mit
Gewalt bewehrte "fictio juris"
(Marx), das konkrete Individuum, der kontrafaktisch
unterstellten Identität (und Kontinuität) des freien Willens sich anzubequemen,
d.h. sich, als Natur und Trieb, stillzustellen. Da
kochen die Ressentiments auf, nicht zuletzt der antisemitische Wahn. Die
Psychoanalyse scheitert an Deutschland, gerade im Verhältnis von
"Massenpsychologie und Ich-Analyse". Deutschland, der
Mordzusammenhang, setzt die Psychoanalyse außer Kraft.
Joachim Bruhn ist Mitglied der Initiative Sozialistisches Forum in Freiburg und Teil
des Ca ira-Verlagskollektives (www.isf-freiburg-org).
Er schreibt gelegentlich für "konkret" und "jungle
World". Co-Autor u.a. von Initiative
Sozialistisches Forum, Flugschriften. Gegen Deutschland und andere
Scheußlichkeiten, Freiburg: Ca ira 2001; Autor u.a.
von "Was deutsch ist. Zur kritischen Theorie der Nation" (2., erw.
Auflage: Freiburg: Ca ira 2006) und Mitherausgeber der "Gesammelten
Schriften" von Johannes Agnoli.
17.30: Psychopathologie des Islam
Natascha Wilting
Was
Freud lehrte, muß der Islam verdammen: Hinter der
Doktrin der animalistischen Sexualität stecke ein
Jude, sagt Sayyid Qutb. Die
Aggressivität, erwachsen aus der eigenen Versagung, dem begehrten Verbotenen
und dem verbotenen Begehrten, konzentriert sich auf das Sinnbild der westlichen
Dekadenz: die Juden, von denen, wie der Begründer der Muslimbrüderschaft weiter
sagt, die ganze Welt gelernt habe, "die sinnlichen Bedürfnisse zu
befreien" und so die gläubigen Muslime in den Schmutz zu stoßen; auf die
Israelis, deren Staat gewordene Gesellschaft den Menschen der arabischen
Gemeinschaft permanent eine widersprüchliche, auf Fortschritt bedachte Kultur
vor Augen führt, deren Mitglieder nach individuellem Glück streben. Da sie die
westliche, in Israel konkretisierte Welt, nicht so verdrängen können wie die
eigenen Triebansprüche, bleibt nur, das Begehrte zu zerstören. Die Destruktion
wird zur einzig noch möglichen Annäherung ans Objekt. So werden sie nicht
lassen können, nicht von Israel, nicht von der dekadenten Welt überhaupt. Daß aber in erster Linie die Juden in die reinigenden
Fluten des Meeres getrieben werden müssen - das ist die Quintessenz der
"islamischen Erneuerung", die dabei ist, das größte
psychopathologische Kollektiv zu formen, das die Welt seit langem gesehen hat.
Natascha Wilting ist Redakteurin der Berliner
Zeitschrift "Bahamas".
19.30: Todestrieb und Politik:
Politische Gewalt und islamisches Kollektiv (Podiumsdiskussion)
mit Tjark
Kunstreich, Florian Markl, Gerhard Scheit und Natascha Wilting
Kontakt: freud.konferenz@gmx.net
Wir benötigen für die Dauer der Konferenz dringend
Schlafplätze in Wien. Wer solche zur
Verfügung stellen kann, melde sich bitte unter der angegebenen
Email-Adresse.
Eine Veranstaltung von Café Critique, der
Studienvertretung Politikwissenschaft und dem Verein für Gesellschafts- und
Kulturkritik,
mit Unterstützung der StV Doktorat HTU Wien, der Fakultätsvertretung
Sozialwissenschaften und der MA 7 – Wissenschafts- und Forschungsförderung