Grundlagen
der Gesellschaftskritik
Einführende
Veranstaltungsreihe der Studienvertretung Politikwissenschaft
Donnerstags
um 20 Uhr im HS II im NIG (Erdgeschoss)
20.10.2005 Wozu Kritik der politischen
Ökonomie? (Florian Ruttner)
„Geht’s
der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut,“ ist seit längerem der Slogan eines
Spots der Wirtschaftskammer Österreich, verbunden mit dem Hinweis darauf, was
nicht gemeinsam mit der Wirtschaft wachse: Infrastruktur und Bildung, ja
eigentlich alles. In dieser Aussage ist in bewundernswerter Schlichtheit das
vorherrschende Bild des Produktions- und Zirkulationsprozesses skizziert.
Kategorien wie Lohnarbeit, Kapital und Wert spielen dabei keine Rolle; die
ganze Veranstaltung scheint schlicht mit dem Allgemeinwohl kurzgeschlossen zu
sein, das immer dann wieder eingeklagt wird, wenn die Ergebnisse nicht mit den
eigenen Vorstellungen übereinstimmen. Dann wird gemahnt, von der
Sozialdemokratie bis zur Kirche wird mit großer Sorge auf „übersteigertes
Gewinnstreben auf den Finanzmärkten“ hingewiesen, also auf unmoralisches
Verhalten, das mit gesellschaftlichen Verhältnissen nichts zu tun hat, von
denen man sowieso nie reden will, sondern nur von „Sachzwängen“. Diese
moralische, nur auf die Zirkulationsspähre gerichtete
Kritik endet aber in der Regression, im Hass aufs Abstrakte und im Lied vom
einfachen, aber edlen Leben. Dagegen gilt es, den ökonomischen Prozess als das
zu kritisieren, was er ist: Dinglich vermittelte Herrschaft, die einer eigenen
Logik folgt. Die Kategorien dieser Logik, die gesellschaftlich objektiv
gültigen Verkehrsformen dieser Gesellschaft sollen in dem Vortrag kritisch
dargestellt und der Hinweis geliefert werden, dass sie um eines guten,
emanzipierten Lebens Willen abgeschafft werden sollten.
• Heinrich, Michael: Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie, Stuttgart 2004.
• Backhaus, Hans-Georg: Dialektik der Wertform, Freiburg i., Br. 1997.
• Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, MEW 23, Berlin 1956.
3.11.2005 Warum Staatskritik/Kritik der
Politik? (Alex Gruber)
Laut Adorno ist das Recht „das Urphänomen irrationaler
Rationalität“. Der junge Hegel meinte, dass der Staat „freie Menschen als
mechanisches Räderwerk“ behandeln muss und deshalb aufhören soll zu existieren.
Kritik, die den Marx’schen kategorischen Imperativ „alle Verhältnisse
umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein
verlassenes, ein verächtliches Wesen ist,“ noch Ernst nimmt, hat sich der
materialistischen Kritik jener Formen zuzuwenden, die gemeinhin als
unhintergehbar gelten: Der Formen von Recht und Staat. Diese sind wie Ware und
Kapital als fetischisierte Formen abstrakter Herrschaft zu begreifen, die
nicht emanzipatorisch genutzt, sondern praktisch abgeschafft werden müssen,
soll am Ende mehr herausschauen als die Wiederholung des Immergleichen: die
Unterwerfung des Individuums unter schein-notwendigen gesellschaftlichen Zwang.
• Paschukanis, Eugen [1929]: Allgemeine Rechtslehre und Marxismus. Versuch einer Kritik der juristischen Grundbegriffe, Freiburg 2003.
• Agnoli, Johannes [1975]: Der Staat des Kapitals, Freiburg 1995.
• Joachim, Bruhn: Was deutsch ist. Zur kritischen Theorie der Nation, Freiburg 1994.
17.11.2005 Elemente einer Kritik des
modernen Antisemitismus (Florian
Markl)
In den letzten 10 Jahren, besonders aber seit dem 11.
September 2001 und dem Beginn der so genannten „zweiten Intifada“,
ist weltweit eine Renaissance des Antisemitismus zu konstatieren. Er ist, um
mit Henryk M. Broder zu sprechen, der kleinste
gemeinsame Nenner, auf den sich Rechte und Linke, Gläubige und Ketzer, Mystiker
und Rationalisten gleichermaßen einigen können. In Anknüpfung an die Kritische
Theorie wollen wir einige Elemente einer Theorie des modernen Antisemitismus
diskutieren und der Frage nachgehen, warum er nach wie vor weltweit Massen in
Rage zu versetzen vermag. Dabei gilt es festzuhalten, dass es die moderne
Gesellschaft selbst ist, die aus sich heraus den Antisemitismus gebiert. Wer,
so ließe sich in Anlehnung an Max Horkheimer sagen, über erstere nicht sprechen
will, der sollte auch über letzteren schweigen. Einzig im Rahmen
gesellschaftstheoretischer Überlegungen ist den Wurzeln des Antisemitismus auf
die Spur zu kommen.
• Adorno, Theodor W.: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, in: Ders.: Gesammelte Schriften 20.1, Frankfurt/M. 1997.
• Postone, Moishe: Nationalsozialismus und Antisemitismus. Ein theoretischer Versuch, in: Werz, Michael (Hrsg.): Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz, Kulturindustrie und Gewalt, Frankfurt/Main 1995.
• Rabinovici, Doron/Speck,
Ulrich/Sznaider, Natan
[Hg.]: Neuer Antisemitismus? Ein globale Debatte, Frankfurt/M. 2004
1.12.2005 Einführung in die Psychoanalyse
als Gesellschaftstheorie – Der autoritäre Charakter (Ljiljana Radonic)
Nach einer kurzen Einführung in die Grundbegriffe der
Freudschen Psychoanalyse soll auf deren Erkenntnisse, welche für eine kritische
Theorie der Gesellschaft gewinnbringend sind, eingegangen werden. Wie hat die
Kritische Theorie rund um Theodor W. Adorno die drei psychischen Instanzen –
Ich, Es und Über-Ich –, sowie Freuds Triebtheorie und Massenpsychologie zur
Theorie des Autoritären Charakters weiterentwickelt? Als unzulässig empfundene
Regungen werden verdrängt und auf „Sündenböcke“ projiziert. Die narzisstische
Kränkung, unter anderem bedingt durch das Erahnen der eigenen Ersetzbarkeit
innerhalb der Gesellschaft, schafft ein Bedürfnis nach Aufwertung, am besten in
einer übermächtigen Masse – eines Wir-Kollektives wie der Nation. Zum Schluss
soll auf die gesellschaftlich bedingte Verkehrung eingegangen werden, die
Tatsache nämlich, dass autoritätshörige, unreflektierte Menschen viel leichter
in der Gesellschaft zurechtkommen, als kritische, reflektierende Individuen,
welche an der unvernünftigen Einrichtung der Welt zu verzweifeln drohen.
• Freud, Sigmund: Das Ich und das Es [1923], in: Studienausgabe Bd. III, Frankfurt/Main 2000.
• Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt/M. 1999.
• Simmel, Ernst [Hg.]: Antisemitismus, Frankfurt/M. 1993.
Mittwoch, 7.12.2005, 12
Uhr im KOZ (NIG, 2. Stock, Zi. 221):
Tagesseminar zur Einführung in die Marxsche
Kritik der politischen Ökonomie (Michael Heinrich)
Anmeldung unter stv.powi@oeh.univie.ac.at
„Marxismus“ ist für die einen die Erklärung aller Welträtsel,
eine „wissenschaftliche Weltanschauung“, welche jede Antwort kennt, bevor die
Frage auch nur gestellt wird, für andere eine ziemlich simple Weltsicht, die
alles auf den Gegensatz der Klassen reduziert, und ganz schnell in gut und
böse, fortschrittlich und reaktionär sortiert. Doch schon Marx erklärte: „Ich
bin kein Marxist!“ In seinem „Kapital“ lieferte er keine alternative
„politische Ökonomie“ und auch keine Anleitung zum Aufbau des Sozialismus,
sondern – wie der Untertitel verrät – eine „Kritik der politischen Ökonomie“.
Was es mit dieser Kritik auf sich hat, warum es im „Kapital“ nicht einfach um
Arbeit, sondern um „abstrakte Arbeit“ und „Fetischismus“ geht, was Kapital mit
Ausbeutung zu tun hat und warum es ein „automatisches Subjekt“ ist, darum soll
es gehen. Dabei wird deutlich werden, dass sich der globale
Konkurrenzkapitalismus von heute zwar nicht mit dem traditionellen,
weltanschaulichen Marxismus, aber durchaus mit der Marxschen Kritik der
politischen Ökonomie analysieren lässt.
20 Uhr: Vortrag: Kapital, Staat und Krieg (Michael Heinrich)
Kapitalistische Ökonomie und moderner Staat sind in mehrfacher
Hinsicht aufeinander angewiesen. Der Staat muss die Voraussetzungen
kapitalistische Produktion, die das Kapital selbst nicht produzieren kann,
garantieren: sowohl die rechtlichen Verkehrsformen als auch die materiellen
und sozialen Bedingungen der Produktion. Andererseits gewährleistet nur eine
erfolgreiche Akkumulation, dass der moderne Steuerstaat genügend materielle
Ressourcen erhält. Staatliche Politik ist daher zwar alles andere als
unabhängig vom Kapital, doch ist sie auch nicht die schlichte Umsetzung eines
gesamtkapitalistischen Interesses. Vielmehr muss sie dieses Interesse
überhaupt erst als „nationales“ Interesse konstituieren, den subalternen
Klassen gegenüber legitimieren und gegen konkurrierende Staaten notfalls mit
kriegerischer Gewalt durchsetzen – wobei es zu den Schönheiten des modernen,
demokratischen Staats gehört, dass die Durchsetzung der – gegensätzlichen –
nationalen Interessen stets der Ausbreitung von Freiheit, Demokratie und
Menschenrechten dient.
Michael Heinrich ist Redaktionsmitglied von PROKLA (Zeitschrift
für kritische Sozialwissenschaft) und Autor von: Kritik der politischen
Ökonomie. Eine Einführung, Stuttgart 2004; Die Wissenschaft vom Wert, 3. Aufl.,
Münster 2003 sowie zahlreicher Aufsätze zur Marxschen Theorie und zur aktuellen
Entwicklung des Kapitalismus (weitere Texte siehe: www.oekonomiekritik.de).
15.12.2005 Kritik der Kategorie
Geschlecht. Perspektiven feministischer Theorie (Jutta Sommerbauer)
Die feministische Theorie stellt das Geschlechterverhältnis
als Herrschaftsverhältnis in den Mittelpunkt ihrer Kritik. In welchem gesellschaftlichen
Kontext nahm die Politisierung des Geschlechterverhältnisses ihren Ausgang?
Welche unterschiedlichen Traditionen feministischer Theorie gibt es? Welche
Rolle spielen heute noch die einst zentralen Paradigmen von Gleichheit und Differenz?
Geschlechterkritische Sichtweisen betreffen auch die Politikwissenschaft.
Anhand einiger Grundbegriffe soll erläutert werden, wie feministische Theorie
diese „herausfordert“. Zudem wird auf die Institutionalisierung der
feministischen Theorie im Wissenschaftsbetrieb eingegangen. Können die so
genannten „Gender Studies“
das transformative Programm des Feminismus umsetzen?
• Becker-Schmidt, Regina/Knapp, Gudrun-Axeli: Feministische Theorien zur Einführung; Hamburg 2000.
• Kreisky, Eva/Sauer, Birgit: Feministische Standpunkte in der Politikwissenschaft. Eine Einführung; Frankfurt/M: 1995.
• Sommerbauer, Jutta: Differenzen zwischen Frauen. Zur
Positionsbestimmung und Kritik des postmodernen Feminismus; Münster 2003.