Ideologie- und
Religionskritik
Veranstaltungsreihe der
Studienvertretung Politikwissenschaft
Donnerstags, 20 Uhr (pünktl.), HS III, NIG, Universitätsstr.
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16.3.
Religions- und
Ideologiekritik - Eine Einführung
Stephan Grigat
Karl Marx schrieb 1843: „Die
Aufhebung der Religion als des illusorischen
Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen
Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist
die Forderung, einen Zustand aufzugeben,
der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein
die Religion ist.“ In dem Vortrag soll erläutert werden, inwiefern Religions-
und Gesellschaftskritik zusammenhängen, wie sich die Ideologiekritik als Kritik
religiöser Vorstellungen entwickelt hat, und warum, wie Marx wußte, die „Kritik der Religion die Voraussetzung aller
Kritik“ ist.
Ausgehend von der Unterscheidung
zwischen politischer und allgemeiner Emanzipation soll vor dem Hintergrund der
aktuellen Ereignisse daran erinnert werden, daß die
Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten von Leuten wie Ayaan
Hirsi Ali, die den Propheten einen perversen Tyrannen
nennt, von Hip Hopern, die Jesus als „Bastard“
titulieren und von israelischen Poplinken, die verkünden, daß
der Messias nicht kommen wird, die Voraussetzung jeglicher Bemühung um eine
befreite Gesellschaft ist. Zugleich ist zu fragen, warum die beiden
Letztgenannten mit Kritik und Empörung leben müssen, Ayaan
Hirsi Ali aber mit Mordaufrufen konfrontiert ist.
27.4.
Religion als
„universelle Zwangsneurose
Über Vergeistigung im
Judentum und Regression im Christentum
Gerhard Scheit
Nach Sigmund Freud wäre „die Neurose als eine individuelle
Religiosität, die Religion als eine universelle Zwangsneurose“ aufzufassen.
Beide entspringen unerhellten Schuldgefühlen. Religion und Neurose sind damit
aber keineswegs gleichgesetzt. So ist das Verhältnis der Religionen zueinander
ein wesentlich anderes als das der Neurosen beim Individuum. In der
Unterscheidung der Religionen geht nun Freud vom Judentum aus: dessen abstrakte
Gottesidee ließ „das Volk Israel alle Schicksalsschläge überstehen“; sie
verschmäht „Opfer und Zeremoniell“ und fordert stattdessen ein Leben „auf der
Grundlage der Gesetze und der heiligen Texte“. Das Christentum erscheint
demgegenüber als „eine kulturelle Regression“: es „hielt die Höhe der
Vergeistigung nicht ein“, übernahm magische Elemente und stellte die
Muttergottheit wieder her. Im Zentrum steht das vergöttlichte,
von Jesus verkörperte Selbstopfer, das schließlich auch ein bestimmtes
Verhältnis der Individuen zum Staat anbahnt: in der Identifikation mit dem
Gekreuzigten entwickelt das Subjekt ganz von sich aus und fallweise ohne
Rücksicht auf die Gesetze jene unbedingte Opferbereitschaft, die der Souverän
im Ausnahmezustand einfordert.
Soweit das Judentum die falsche Versöhnung verweigert, die
Christentum und Islam missionarisch im Selbstopfer als Erlösung und Eingang ins
Paradies verbreiten, hält es zugleich die Möglichkeit grundlegender Veränderung
der Gesellschaft offen. Darin erkennen dann Adorno und Horkheimer den
Unterschied dieser Religion zu den anderen: „Hoffnung knüpft sie einzig ans
Verbot, das Falsche als Gott anzurufen, das Endliche als das Unendliche, die
Lüge als Wahrheit.“
18.5.
„Die Knechtschaft aus
Überzeugung“
Über die
protestantische Modernisierung des Katholizismus
Florian Ruttner
Religionskritik heute steht vor dem Problem, daß sie meist mit einer „Religion aus zweiter Hand“
konfrontiert wird, die sich mit Äußerungen wie der, daß
es doch schön sei, an irgend etwas zu glauben, um eine Auseinandersetzung mit
den Inhalten und Widersprüchen der einzelnen Glaubensrichtungen herumdrückt.
Sonst könnte es ja jemanden auffallen:
Wenn der Papst begeisterten jungen Menschen in Köln erklärt,
daß das größte Geheimnis des katholischen Glaubens in
der Wandlung der Hostie läge, so verweist er unfreiwilligerweise auf die
Elemente magischen Denkens im Katholizismus, die diesem innewohnen, auch wenn
er einen partiellen Fortschritt gegenüber einem Polytheismus darstellt.
Demgegenüber erscheint der Protestantismus als liberalere
und aufgeklärtere Variante des christlichen Glaubens.
Es soll gezeigt werden, daß und wie das magische
Denken von Luther nicht abgeschafft, sondern modernisiert und rationalisiert
wird, wie äußere Autorität internalisiert wird und wie diesem Denken Luthers
Hexenwahn und Antisemitismus entspringen.
8.6.
Der Islam als
politische Religion - Unterwerfung als Programm?
Florian Markl
Ebenso wie es im Katholizismus verschiedene Strömungen oder
Orden gibt, die sich auf einen Kern gemeinsamer dogmatischer Behauptungen
stützen, existiert auch im Islam die Differenz nur vor dem Hintergrund der
Gemeinsamkeit.
Sobald jedoch wieder einmal unter Berufung auf den Propheten
und seine Lehre Geiseln geköpft, Botschaften angezündet oder Menschen in die
Luft gesprengt werden, stehen die Apologeten der „Religion des Friedens“
bereit: Derartige Grausamkeiten hätten nichts mit dem Islam zu tun, und
überhaupt gäbe es ja so viele verschiedene Strömungen, dass von „dem“ Islam
keine Rede sein könne.
Von Seiten so genannter „Islam-ExpertInnen“
wird immer wieder der Einwand formuliert, der militante Djihadismus der
heutigen Zeit sei nicht mit der islamischen Tradition in Einklang zu bringen.
Über Jahrhunderte hinweg sei die islamische Welt die bei weitem
fortschrittlichste Zivilisation gewesen.
So richtig der Verweis auf die „modernen“ Strömungen des
Islam historisch auch ist, so notwenig ist es jedoch festzustallen,
dass sich gegen diese mit konsequenter Brutalität immer die rückschrittlichsten
Bewegungen durchgesetzt haben.
Es wäre aber falsch, den Siegeszug des islamischen
Fundamentalismus als Prozess der Re-Islamisierung zu bezeichnen, da dies
unterstellt, der Islam habe zwischenzeitlich einmal an Bedeutung verloren. Doch
die Islamisten, allen voran die Muslimbruderschaft,
mussten keine neue Tradition erfinden, sondern konnten erfolgreich an ohnehin
vorhandene Traditionen anknüpfen und diese für ihre von Märtyrerkult, Gewalt
und Antisemitismus geprägte
„Re-Politisierung des Sakralen“ benützen. Bei genauerer
Betrachtung bleibt also nicht viel übrig, das den Anspruch einer „Religion des
Friedens“ begründen könnte.