Das regressive Bedürfnis
Über die Kulturkritik des (Multi-)Kulturalismus,
"Paradise now"
und den
antizionistischen Konsens
Vortrag und Diskussion mit Tjark Kunstreich (Berlin)
Samstag, 19. 03. 2005, 20.30
Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde
Seitenstettengasse 2, 1010 Wien
Ein Film über zwei palästinensische Selbstmordattentäter und einer über eine
deutsche Widerstandskämpferin waren die großen Erfolge der diesjährigen
Berlinale. Der erste, “Paradise Now",
erinnert nicht nur im Titel an “Apocalypse Now", er ist ebenso ambivalent in der Bewertung des Tuns seiner Akteure. Während aber die Linke dem
Hollywoodfilm in den siebziger Jahren wegen dessen exzessiver Gewaltdarstellung
Kriegsverherrlichung vorwarf, haben die gleichen Leute gegen “Paradise Now" keine
Einwände. Die Vorbereitung einer Massenmordaktion im Stile
einer Soap opera –
Tragisches und Komisches wechselt sich im Rhythmus der Erzählung ab – ist
erfolgreich, weil die europäischen Zuschauer sich mit den Protagonisten
identifizieren können. Die zu ermordenden Juden tauchen nur in der Ferne auf,
sie bleiben Abstraktionen, die nichtsdestotrotz sehr konkret verantwortlich
sind für das eigene Unglück. Bezeichnenderweise erhielt “Paradise
Now" den Zuschauerpreis der Filmfestspiele sowie
den “Blauen Engel", die einzige Auszeichnung die mit Geld, nämlich 25 000
Euro, dotiert ist. Das ist ungefähr die Summe, die Saddam Hussein den Familien
der Suizidbomber zukommen ließ. “Sophie Scholl – die letzten Tage" wird
hingegen vor allem von der Kritik gelobt. Passend zum Jahr der sechzigsten
Jahrestage wird Sophie Scholl, wie schon einmal in den fünfziger Jahren, als
deutsche Märtyrerin dargestellt und der Widerstand als Passionsgeschichte, die
“uns" noch einmal nachweist, wie gut “wir" geworden sind. Hatten
ähnliche Filme einst ebenfalls Protest oder Unmut ausgelöst, weil sie in ihrer
Personalisierung immer kitschig geraten, zumal wenn sie vom deutschen
Widerstand handeln, und eine realitätsgerechte Darstellung der Form nach
ausgeschlossen ist, wird “Sophie Scholl" für Mut zum Gefühl und
Authentizität gepriesen – ebenso wie “Paradise Now". Es gibt offensichtlich ein Bedürfnis nach
Märtyrern und Märtyrerinnen, das nicht zwischen Judenmördern und
Widerstandskämpferinnen zu unterscheiden vermag, das beide Figuren identisch
setzt, weil sie für ihre Überzeugung sterben. Da diese Überzeugungen aber gar
keine Rolle spielen, ist es offensichtlich die Unterstellung – oder Projektion
– eines Todeswunsches, der die Identität von Sophie Scholl und zwei
palästinensischen Massenmördern herstellt.
Beiseitegestellt, was den Mitgliedern der Weißen Rose damit angetan wird, denn
sie hegten, im Gegensatz zu den Selbstmordattentätern, keineswegs einen
Todeswunsch: beide Filme ermöglichen diese Projektion, ihre Figuren
geraten zu Heiligen. Das Bedürfnis nach Märtyrern, verstanden als projizierter
Todeswunsch, verweist auf den derzeitigen mentalen Zustand des Mainstreams, in dem aus einem Gefühl abstrakter Bedrohung
heraus die Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Zwangskollektiv eine immer
größere Bedeutung gewinnt. Es ist die Frage nach der Identität, diesem
unfreiwilligen Korsett aus Erbe und Herkunft, die man nicht auf der Suche nach
Freiheit hinter sich lassen will, sondern die man sich solange stellt, bis sie
eine positive Antwort erhält. Neidisch blickt man auf Menschen, von denen man
meint, sie seien der Not der Identität enthoben, weil sie sich die Frage danach
nicht zu stellen bräuchten. Diese entstammen zumeist sogenannten Kulturen,
deren Mut zum Gefühl und Authentizität gefeiert wird.
Menschen
wie Ayaan Hirsi Ali
hingegen, die sich der allgemeinen Regression verweigern und deswegen gegen den
politischen Islam kämpfen, eignen sich merkwürdigerweise, trotz erwiesenen
Heldentums, so gar nicht als Märtyrer. Nicht nur, daß sie selbst eine solche
Rolle ablehnen würden; Hirsi Ali zum Beispiel, die
Freundin und Kollegin des von einem Djihadisten
hingerichteten Regisseurs Theo van Gogh, die jederzeit mit ihrer Ermordung
rechnen muß, wehrt sich gegen die Dekonstruktion ihrer Person in Identitäten.
Sie will nicht als Verfolgte, Moslem, Somali, Frau usw., also mehrfach
unterdrücktes Wesen gelten, sondern sie hat eine niederländische
Staatsbürgerschaft und will beurteilt werden für das, was sie als Politikerin
tut. Daß sie nicht schon längst eine linke Ikone der Emanzipation wurde, liegt
nicht daran, daß sie einer liberalen Partei angehört und sich selbst als
bürgerliche Demokratin begreift; das hat die Linke noch nie von einer
Liebeserklärung abgehalten. Es liegt auch nicht an einem antifeministischen Backlash, ist es doch die Feministin Anja Meulenbelt, die Hirsi Ali
beschuldigt, einen “Anti-Moslem-Djihad" zu
führen und so der moslemischen Bevölkerung der Niederlande zu schaden. Es liegt
daran, daß Hirsi Ali in Gestalt des Islams bekämpft,
wonach sich Meulenbelt und ihre Komplizinnen und
Komplizen sehnen: das Bedürfnis nach Mut zum Gefühl und Authentizität, oder, in
anderen Worten, das Bedürfnis nach Regression.
Eine Veranstaltung von
Café Critique, HaShomer HaZair, Studienrichtungsvertretung Politikwissenschaft und
der Zionistischen Föderation Österreichs